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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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den tomatenroten Wannensessel nieder. Werner starrte auf eine ungelenke Handschrift auf billigem, liniertem Papier, wie es Menschen zu benutzen pflegen, die selten mit der Feder umgehen. Er las ein paar Sätze. Köchinnengeschwätz, Belanglosigkeit, Klagen über die Dreistigkeit der jüngeren Dienstboten einer alten Frau gegenüber, die das kleine gnädige Fräulein früher mit Leckerbissen verwöhnt hatte...
    Die Zeilen tanzten vor Werners Augen und er spürte, daß die Frau, die diesen Brief geschrieben hatte, um ihr Traumschloß noch fester und einsturzsicherer zu untermauern, ihn beobachtete.
    »Was sagst du dazu? Ist das nicht rührend?«
    »Ja, gewiß — deine alte Anuschka scheint eine Seele von Mensch zu sein. — Aber daß sie dir schreibt, deine Eltern seien verreist, stimmt nicht!«
    »Was soll das heißen?«
    »Deine Eltern sind daheim«, sagte er ruhig und sah ihr in die Augen, »ich war gestern in Höchst und habe die Eyssing-Werke besucht und bei dieser Gelegenheit mit Herrn Dr. Friedrich Eyssing persönlich gesprochen!«
    »Du hast dich unterstanden...!« fuhr sie auf und starrte ihn aus flackernden Augen an.
    »Ja, ich habe mir erlaubt, ihn aufzusuchen, denn ich wollte mich vorstellen und erfahren, ob es keine Brücken zwischen dir und ihm gäbe. Aber es gibt keine Brücke. Es kann keine Brücke geben, weil du nicht seine Tochter bist!«
    »Er verleugnet mich!« stammelte sie, und ihre Lippen leuchteten scharlachrot aus dem blassen Gesicht, »er hat mich immer verleugnet...«, ihre Stimme steigerte sich.
    »Träum weiter, Anita«, sagte er ruhig, »ich bin nicht gekommen, um dir deinen Traum zu zerstören. Ich weiß, daß er unzerstörbar ist. Severin hat es versucht. Es ist ihm nicht gelungen. Aber für den Versuch, dich aus deinem Traum zu erwecken, hast du ihn furchtbar bestraft...«
    »Du hast Severin gesprochen?!« fuhr sie ihn an.
    »Ja, ich bin ihm begegnet, und er hat mir seine Geschichte erzählt.«
    »Er hat dich belogen! Er ist ein Lügner und ein Schauspieler dazu!«
    »Du hast ihn gehaßt ...«
    »Ich hasse ihn noch!« sagte sie wild.
    »Und um Severin zu vernichten, hast du in jener Nacht, als er neben dir im Wagen schlief, den alten Mann auf seinem Fahrrad kaltblütig ermordet. Du hast einen Mord begangen, einen niederträchtigen Mord, um Severin mit diesem Mord zu belasten...«
    »Ich habe ihn nicht ermordet!« schrie sie auf, »ich habe den alten Mann...«, sie schlug sich die Hand vor den Mund und starrte Werner aus weit aufgerissenen Augen entsetzt an.
    »Ich weiß!« fiel er ein, »es war ein Unfall! Es war keine Absicht dabei, nicht wahr? Du hast den Radfahrer gestreift, weil du ihn in dem grauen Morgenlicht zu spät bemerktest. Du spürtest vielleicht noch den Schlag und sahst ihn stürzen. Severin hat von dem ganzen Vorfall nichts bemerkt. Und da kam dir der Gedanke, wie du Severin loswerden und vernichten könntest. War es nicht so? Hat sich nicht alles genauso abgespielt?«
    Sie war aufgesprungen. Mit einem Gesicht, das vor Haß und Hohn verzerrt war, daß es einer Fremden anzugehören schien, zischte sie: »Ja, so war es, genauso war es! Und ich täte es noch einmal, wenn es noch einmal notwendig wäre! Aber wer will es mir beweisen? — Erzähl ihm doch, daß ich dir eingestanden habe, jenen Unfall verursacht zu haben! Lauf doch hin und erzähl es ihm! Ich werde erklären, daß du phantasierst! Ich werde erklären, daß du ein Narr bist, ein eifersüchtiger Idiot...«
    Und die Hand erhebend, als wolle sie ihm ins Gesicht schlagen, schrie sie: »Machen Sie, daß Sie aus meiner Wohnung herauskommen! Sofort! Raus mit Ihnen! Oder ich rufe die Nachbarn um Hilfe!«
    Werner drehte sich um und ging wortlos zur Tür, er nahm seinen Hut von der Garderobe, an der der Ozelotmantel hing, schloß die Tür hinter sich geräuschlos zu und benutzte die Treppe, um das Haus zu verlassen. Er hatte das Gefühl, vergiftete Luft geatmet zu haben und seine Lungen und sein Blut von dem Gift reinigen zu müssen. Ihm war übel, und er brauchte Minuten, ehe er imstande war, den Wagen in Gang zu setzen und davonzufahren.
    Es war Nacht geworden. Er stellte den Wagen in der Nähe seines Hotels auf der Straße ab und ging wieder zu Fuß durch die Straßen, um Severin aufzusuchen. Die Kellnerin sagte ihm, daß Herr Severin nach dem Abendessen auf sein Zimmer gegangen sei; es liege im zweiten Stockwerk und hätte die Nummer neun. Er stieg die steilen Treppen hinauf, klopfte an der Tür und hörte Severins

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