Eine Frau geht ihren Weg
Jalousien ein Stückchen auseinander. Draußen war alles grau, grau und trostlos wie ihre Stimmung. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, sich in einer Ecke zu verkriechen und zu weinen.
„Regnet es schon wieder?” riss Daniels Stimme sie aus ihren Gedanken.
„Nur ein bisschen.” Warum fühlte sie sich so leer und verlassen? Sie sah, dass Daniel sie prüfend anschaute, ignorierte jedoch seinen Blick. „Lass uns endlich fahren”, sagte sie mit abgewandtem Gesicht. „Ich möchte um vier Uhr in San Diego sein.”
Sybil nahm ihr Gepäck, und Daniel folgte ihr wortlos. Heftig knallte er die Tür hinter sich zu und schwang sich hinter das Lenkrad seines Porsche. Kaum saß sie neben ihm, gab er so heftig Gas, dass sich die Räder auf der mit Kies bestreuten Auffahrt durchdrehten. Fest umschloss er das Lenkrad, und kein Muskel bewegte sich in Daniels Gesicht.
Pfeilschnell schoss der Porsche über die Straße.
„Sybil”, brach Daniel das lange Schweigen, „Southey und Essco haben mit dieser ganzen Geschichte nichts zu tun. Ticher hat absolut eigenmächtig gehandelt. Er gehörte zu dem Häuflein treu Ergebener, das George Southey um sich versammelt hatte, bevor er sich entschloss, seine Firma zu verkaufen.”
„Es muss ja sehr bequem sein, die alten Angestellten zu Sündenböcken zu machen, sobald irgend etwas schiefläuft”, sagte Sybil verächtlich.
Doch Daniel antwortete ihr nicht, und während sie die Passstraße hinunterfuhren, wurde das Schweigen zwischen ihnen immer unerträglicher. Daniel nahm die Kurven viel zu schnell, doch Sybil zog es vor, sich nicht dazu zu äußern. Sie wollte ihn nicht ablenken. Wenn er auch wie ein Wahnsinniger raste, wenigstens schien er sich auf die Straße zu konzentrieren.
Mit quietschenden Reifen fuhr Daniel in die nächste Kurve. Sybil wurde hart gegen die Tür geschleudert und versuchte, die Augen zu schließen und sich an ihrem Sicherheitsgurt festzuhalten. Langsam bekam sie es mit der Angst zu tun. Auch ihr Magen reagierte bereits auf Daniels mörderischen Fahrstil.
In dem Moment, in dem sie die Augen wieder öffnete, sah sie zu ihrem Entsetzen einen Wohnwagen geradewegs auf sie zusteuern. Sie stieß einen markerschütternden Schrei aus.
Daniel riss das Steuer herum und fuhr auf den Randstreifen zu.
Inzwischen hatte auch der Wohnwagenfahrer seinen Irrtum bemerkt und sein Gefährt wieder auf die richtige Fahrspur gebrach
„Kannst du nicht wenigstens einmal anhalten?” schrie Sybil völlig außer sich.
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Doch Daniel verringerte auf dem Randstreifen nur ein wenig die Geschwindigkeit, gab dann erneut Gas und fuhr auf die Straße zurück Wie ein Wahnsinniger ging er in die steilen Haarnadelkurven Sybil klammerte sich an ihrem Sitz fest, um nicht wie ein Tennisball hin-und hergeworfen zu werden. Daniel musste von Sinnen sein! Die halbe Stunde, die sie brauchten, um das Tal zu erreichen, war die längste ihres Lebens.
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8. KAPITEL
Nach einer halsbrecherischen Fahrt hatten Daniel und Sybil Lucerne Valley endlich erreicht.
Daniel hielt an einer kleinen, heruntergewirtschafteten Tankstelle, die ein Überbleibsel aus längst vergangener Zeit zu sein schien.
„Ich muss kurz telefonieren”, sagte er und warf dem Tankwart die Wagenschlüssel zu, bevor er zu der einsamen Telefonzelle hinüberging, die am äußeren Rand des Grundstücks stand.
Erst jetzt setzte bei Sybil die Reaktion auf die überstandenen Ängste ein. Sie fing am ganzen Körper an zu zittern. Ihr erster Gedanke war, aus diesem Auto auszusteigen und davonzulaufen.
Irgendwohin. Ihre Hand lag bereits auf dem Türgriff, da nahm Sybil erstmals bewusst ihre Umgebung wahr.
Ein paar Meter von ihr entfernt lungerten vier grobschlächtige, abgerissene Cowboys um einen alten Lastwagen herum und musterten sie mit gierigen Blicken. Panik stieg in ihr auf. Sie ließ den Türgriff los und verkroch sich so tief wie möglich in die Wagenpolster.
Plötzlich überkam sie ein Gefühl tiefster Verzweiflung. Erst jetzt kam ihr so richtig zum Bewusstsein, dass die Momente des Glücks, die sie mit Daniel erlebt hatte, unwiederbringlich verloren waren. Gleichzeitig machte sie sich klar, dass Daniel ganz anders war, als sie ihn in der letzten Woche erlebt hatte. Sie hatte sich ein Bild von ihm gemacht, das ihren Vorstellungen entsprach, eine Illusion, in die sie sich verliebt hatte. Nein! Sie durfte nicht den Fehler machen, Leidenschaft mit Liebe zu verwechseln!
Sie blickte zu Daniel
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