Eine Frau geht ihren Weg
Schließlich wachte sie auf.
Als erstes bemerkte sie das schrecklich zerwühlte Bettlaken, auf dem sie lag, und das Kopfkissen, unter dem sie ihren Kopf vergraben hatte. Wahrscheinlich hatte sie im Schlaf versucht, sich vor den grellen Sonnenstrahlen zu schützen, die durch die Vorhänge ins Zimmer fielen.
Sybil zog sich das Kissen vom Kopf und warf es ans Fußende des Bettes. In diesem Moment hörte auch das Klingeln auf. Statt dessen drang jetzt Daniels ärgerliche Stimme zu ihr herauf.
„Wovon sprechen Sie überhaupt, Ticher! Niemand hat Ihnen Anweisung gegeben…”
Schlagartig wurde Sybil in die Wirklichkeit mit all ihren Problemen zurückversetzt.
Alle Träume und Visionen von einer glücklichen Beziehung zwischen ihr und Daniel zerbrachen in tausend glitzernde Scherben. Es würde niemals gutgehen mit ihnen. Daniels Position bei Essco erforderte es, dass er immer nur kurze Zeit an einem Ort blieb. Bald würde er San Diego verlassen, und die Affäre mit ihr würde nur noch eine angenehme Erinnerung für ihn sein. Vielleicht besuchte er sie, wenn er zufällig einmal in Südkalifornien war. Aber damit konnte und wollte sich Sybil nicht zufriedengeben.
Wie egoistisch war es von ihm gewesen, unter diesen Umständen mit ihr nach Big Bear zu kommen. Er hatte genau gewusst, dass er nicht bei ihr bleiben konnte, und er wusste ebenfalls, dass sie niemals ihre Firma aufgeben und ihm folgen würde.
Vor Wut ballte sie die Hände unter der Bettdecke. Aber das Schlimmste war, dass sie den größten Vorwurf sich selbst machen musste. Denn war sie nicht mit offenen Augen in diese Affäre hineingeschlittert? Sie hatte von Anfang an gewusst, auf was sie sich einließ. Mit seinen Zärtlichkeiten hatte Daniel sie umgarnt, und sie war zu schwach gewesen, ihm zu widerstehen.
Ihr Blick fiel auf den Teppich, und die Röte stieg ihr in die Wangen, als sie sich an die Leidenschaft erinnerte, mit der sie sich ihm gestern abend hingegeben hatte.
Sie hörte, wie Daniel mit einem Fluch den Hörer auf die Gabel knallte. Im nächsten Moment polterte er die Stufen hinauf. Noch bevor sie ihn sah, wusste sie, dass er vor Wut kochte. Aber das war gut so, denn sie war in der richtigen Stimmung, sich mit ihm anzulegen.
„Verdammt, Sybil, du solltest lieber …”
„Was sollte ich lieber? Meinen Bericht zu Ende schreiben? Warum diese plötzliche Eile? Soll ich etwa erneut eine deiner Eskapaden hinnehmen?” fragte sie sarkastisch.
Sybil war wütend auf ihn. Sie hatte genug von seiner selbstherrlichen Art, hatte es satt, sich von ihm herumkommandieren zu lassen. Es war höchste Zeit, mit dieser ganzen Geschichte Schluss zu machen. Sie verabscheute ihn, verabscheute sich selbst und ihre Situation. Heftig schlug sie die Bettdecke zurück, stand auf und ging zum Schrank, um sich ihren Morgenrock zu holen.
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Mit zittrigen Fingern wühlte sie ihren Schrank durch, konnte jedoch den Morgenrock nicht finden. Zornig lief sie zur Kommode, riss die oberste Schublade auf und griff sich wahllos ein T-Shirt. Es war zwar nicht lang genug, um ihren nackten Körper zu bedecken, doch sie zog es sich trotzdem über den Kopf. Sie knallte die Schublade zu, öffnete die nächste, holte ein Unterhöschen heraus und schlüpfte hinein. Als letztes zog sie alte, ausgefranste Jeans über.
Die Hände in die Hüften gestemmt, hatte Daniel mit ausdruckslosem Gesicht dagestanden und sie beobachtet. Als sie ihn jetzt wütend anblitzte, fragte er kühl: „Willst du mir nicht endlich einmal zuhören?”
Doch Sybil ließ ihn nicht weitersprechen. „Ich schreibe deinen albernen Bericht nachher zu Ende!” schleuderte sie ihm entgegen. Sie bückte sich, zog hastig ihre Schuhe an, rannte die Treppe hinunter, riss ihren Anorak vom Garderobenhaken und verließ mit lautem Türknallen das Haus.
Ziellos streifte Sybil durch die Straßen des Ortes. Ihre Gedanken drehten sich ausschließlich um Daniel. Dieser Mann konnte eine Frau rasend machen. Da tauchte er unvermittelt in ihrem Leben auf und stellte es auf den Kopf! Sie musste etwas dagegen unternehmen, und zwar sofort.
Stundenlang lief sie durch die gewundenen Straßen von Big Bear, und nachdem ihre anfängliche Wut ein wenig verflogen war, dachte sie über das Projekt mit Southey nach. Sobald die Problemanalyse abgeschlossen war, musste ihre Firma das Schulungsprogramm für die Angestellten von Southey Manufacturing ausarbeiten. Vor Erfüllung ihres Vertrages mit der Firma Southey konnten also noch
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