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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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läßt. Um drei Uhr nachmittags waren wir endlich startbereit. Unser erster Gang durch die eroberte Stadt.
    Arme Worte, ihr reicht nicht aus.
    Wir stiegen über den Friedhof an der Hasenheide, mit den langen, gleichförmigen Gräberreihen im gelben Sand, vom letzten großen Luftangriff im März her. Sommersonne brannte. Der Park lag wüst. Die Unsrigen hatten seinerzeit noch die Bäume gefällt, um das Schußfeld freizulegen. Überall Laufgräben, darin verstreut Lumpen, Flaschen, Büchsen, Drähte, Munition. Auf einer Bank hockten zwei Russen mit einem Mädel. Selten bewegt sich draußen ein Russe allein. Zu zweit fühlen sie sich wohl sicherer. Weiter, durch einstmals dichtbevölkerte Arbeiterstraßen. Jetzt könnte man glauben, daß die zehntausend, die hier lebten, ausgewandert oder tot seien; so stumm sind die Straßen, so verschlossen und verkrochen wirken die Häuser. Kein Lebenslaut von Mensch oder Tier, von Auto, Radio oder Straßenbahn. Nur lastende Stille, in der wir unsere Schritte hören. Wenn uns aus den Häusern jemand nachblickt, so tut er es verstohlen. Wir sehen kein Gesicht hinter den Fenstern.
    Weiter, hier beginnt der Stadtteil Schöneberg. Gleich wird sich zeigen, ob wir weiterkönnen, ob eine der Brücken heil blieb, die über die S-Bahn führen, zum Westen hin. Zum ersten Mal sehen wir an einigen Häusern rote Fahnen, vielmehr Fähnchen – offenbar aus ehemaligen Hakenkreuzfahnen herausgeschnitten; manchmal sieht man noch den dunkleren Kreis, von dem der weiße Stoff mit dem schwarzen Hakenkreuz darauf abgetrennt wurde. Die Fähnchen sind – wie könnte es in unserem Lande anders sein? – von Frauenhand sauber umsäumt.
    Am Wege überall Hinterbleibsel der Truppen, ausgeweidete Autos, ausgebrannte Panzer, verbogene Lafetten. Hin und wieder ein Schild, ein Plakat in Russisch, das den 1. Mai feiert, Stalin, den Sieg. Auch hier kaum Menschen. Manchmal huscht ein armseliges Geschöpf vorbei, ein Mann in Hemdsärmeln, eine ungekämmte Frau. Keiner beachtet uns groß. »Ja, die Brücke steht noch«, antwortet auf unsere Frage eine barfüßige, verkommene Frau und hastet davon. Barfuß? In Berlin? Hab sowas nie zuvor bei einer Frau gesehen. Auf der Brücke noch eine Barrikade aus Trümmersteinen. Wir schlüpften durch den Spalt, mein Herz klopfte heftig dabei.
    Grelle Sonne. Die Brücke leer. Wir verhielten, blickten auf den Bahndamm hinunter. Ein Gewirr von strohgelben Gleisen, dazwischen metertiefe Krater. Schienenstücke ragen hochgebogen in die Luft. Polster und Fetzen quellen aus zerbombten Schlafwagen und Speisewagen. Die Hitze brütet. Brandgeruch hängt über den Schienen. Rings Öde und Verlassenheit, kein Hauch von Leben. Das ist der Kadaver von Berlin.
    Weiter nach Schöneberg hinein. Da und dort in der Tür eine Frau, ein Mädel: blicklos das Auge, die Züge schwammig und gedunsen. Ich kann von ihnen ablesen, daß der Krieg hier erst wenige Tage vorbei ist. Die haben sich noch nicht gefangen, sind noch so betäubt, wie wir es vor etlichen Tagen waren.
    Wir traben die Potsdamer Straße hinunter, vorbei an schwarz ausgebrannten Ämtern, leeren Hochhäusern, Schutthaufen.
    An einer Ecke rührendes Bild: Vor einem Schutthaufen, der sie weit überragte, zwei alte, klapprige Frauen, die etwas Dreck mit einer Kohlenschaufel abkratzten und in ein Kärrchen füllten. Wenn sie so weitermachen, brauchen sie Wochen für den Berg. Sie haben knorrige Hände, vielleicht schaffen sie es.
    Der Kleistpark ist eine Wüste. Unter den Arkaden lagern Lumpen, Matratzen und herausgerissene Autopolster. Überall Kothaufen, von Fliegen umsummt. Mittendrin der halbfertige Hochbunker, wie ein Igel von Eisenstacheln umstanden. Vermutlich sollten wir darin im siebten Kriegsjahr Zuflucht vor Bomben suchen. An einem Balkenstapel davor zerren zwei Zivilisten, einer sägt handliche Stücke herunter. Alles gehört allen. Kläglich kratzt die Säge durch all die Stille. Unwillkürlich flüsterten die Witwe und ich miteinander, der Hals war uns trocken, die tote Stadt verschlug uns den Atem. Die Luft im Park war voll Staub, alle Bäume schienen weiß überpudert, waren von Schüssen durchsiebt und schwer verwundet. Ein deutscher Schatten hastete vorbei, schleppte Bettzeug. Am Ausgang ein Russengrab, mit Draht umzäunt. Wieder grellrote Holzstelen darauf, und dazwischen eine flache Granitplatte, auf die mit Kalk gepinselt steht, daß hier Helden ruhen, fürs Vaterland gefallen. Geroi, so lautet das Wort, Heros, Held. Es

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