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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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hinaufging, war der Major da, allein. Er wartete auf mich, kam, um Abschied zu nehmen. Da es seinem Knie schlechtgeht, hat er zwei Monate Erholungsurlaub zugeteilt bekommen, die er in einem Soldatenheim nahe seiner Heimatstadt Leningrad verbringen soll. Schon heute fährt er ab.
    Er ist sehr ernst, fast streng, beherrscht sich eisern. Umständlich malt er sich meine Adresse auf einen Zettel, will mir schreiben, will mit mir in Verbindung bleiben.
    Das Photo, um das er bittet, kann ich ihm nicht geben, weil ich keins habe. Meine ganze photographierte Vergangenheit, in einem Album und einem dicken Umschlag gesammelt, ist mit verbombt, ist verbrannt. Zu einem neuen Bildchen bin ich in den Wochen seither nicht gekommen. Lange schaut er mich an, als wollte er mich mit den Augen photographieren. Küßt mich dann russisch auf beide Wangen und stapft, ohne sich nochmals umzublicken, hinkend hinaus. Mir ist ein wenig weh, ein wenig leer zumute. Ich sinne den Lederhandschuhen nach, die er heut zum ersten Mal vorführte. Er hielt sie elegant in der Linken. Einmal fielen sie ihm zu Boden, er hob sie hastig auf, doch sah ich, daß es zwei verschiedene Handschuhe waren – mit Nähten auf dem Handrücken der eine, der andere glatt. Er wurde verlegen, schaute weg. In der Sekunde mochte ich ihn sehr.
    Wieder hinaus, auf die Straße, ich muß weiterschippen. Nachher wollen wir Holz suchen gehen, brauchen Feuerung für den Herd, die vielen Erbsensuppen verbrauchen was. Wobei mir einfällt, daß nun niemand mehr Essen, Kerzen und Zigaretten bringen wird. Ich muß es der Witwe schonend beibringen, wenn sie von der Pumpe zurückkommt. Pauli sag ich gar nichts. Ihm kann die Witwe selber den Tatbestand versetzen.
    Beim Holzsuchen betrat ich zum ersten Mal seit zwei Wochen den Rasenplatz vorm Kino, auf dem man jetzt die Toten unseres Blocks begräbt. Zwischen Trümmerbrocken und Geschoßtrichtern drei Doppelgräber, drei Ehepaare, dreimal Selbstmord. Eine mummelnde Alte, die auf einem Stein kauerte, erzählte mir mit bitterer Befriedigung, immerfort nickend, Näheres über die Toten: Im Grab ganz rechts liegt der Nazi-Ortsgruppenleiter mit seiner Frau (Revolver). Im Mittelgrab, auf dem etliche hineingesteckte Fliederzweige welken, ein Oberstleutnant mit Frau (Gift). Von dem Ehepaar im dritten Grab weiß die Alte nichts; dort hat jemand ein Holzscheit in den Sand gesteckt, auf dem mit Rotstift geschrieben steht »2 Müller«. In einem der Einzelgräber liegt die Frau, die aus dem dritten Stock sprang, als Iwans sie wollten. Eine Art Kreuz steht darauf, aus zwei Stücken einer weißpolierten Türfüllung schief mit Draht zusammengefügt. Es zog mir die Kehle zu. Wieso spricht die Kreuzesform so stark zu uns? Selbst wenn wir uns nicht mehr Christen nennen dürfen? Frühe Kindereindrücke kamen wieder. Ich sah und hörte Fräulein Dreyer, wie sie uns Siebenjährigen mit unendlichen Einzelheiten und tränenden Auges die Heilandspassion schilderte... Immer hängt für uns christlich erzogene Abendländer ein Gott am Kreuz – mag dies auch bloß aus zwei Stücken Türfüllung und etwas Draht bestehen.
    Ringsum Dreck und Pferdemist und spielende Kinder. Darf man das Spielen nennen? Sie drücken sich so herum, blinzeln uns an, flüstern miteinander. Hört man eine laute Stimme, so ist es ein Russe. Einer stapfte daher, Gardinen überm Arm. Er rief uns eine Schweinerei nach. Man sieht sie jetzt nur vereinzelt oder in abmarschierenden Trupps. Rauh und herausfordernd gellen uns ihre Lieder ins Ohr.
    Hab dem Bäcker 70 Pfennig für die zwei erhaltenen Brote gebracht, kam mir ganz sonderbar vor und hatte das Gefühl, daß ich ihm etwas völlig Wertloses in die Hand drückte, kann mich noch immer nicht entschließen, unser deutsches Geld weiter für richtiges Geld zu halten. Im Haus sammelte die Erna vom Bäcker alle Haushalts-Ausweise ein, notierte auf eine Liste Namen und Kopfzahl der verbliebenen Hausbewohner. Anscheinend sind neue Lebensmittelkarten in Sicht. Erna hatte sich feingemacht, kam im geblümten Sommerkleid daher – ein ungewohnter Anblick, nachdem sich vierzehn Tage hindurch die Frauen nur wie die Schlampen zurechtgemacht nach draußen getraut haben. Auch mir ist nach einem neuen Kleide zumute. Man faßt es noch nicht, daß kein Russe mehr an unseren Türen klopft, keiner sich mehr auf Sofa und Sesseln räkelt. Ich habe die Stube gründlich aufgeräumt, fand unter dem Bett einen kleinen Sowjetstern aus rotem Glas und ein Präservativ in

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