Eine Frau in Berlin
»Oui, monsieur, enfin, vous comprenez.«
Mit einem Mal ist andere Luft zwischen uns. Wieso spricht er solch reines Französisch? Ich weiß es, ohne daß er es mir sagt: Weil er ein »Biewsche« ist, ein Gewesener, ein Angehöriger der ehemals herrschenden Schicht im alten Rußland. Nun berichtet er auch von seiner Herkunft: Moskauer, sein Vater war Arzt, sein Großvater ein bekannter Chirurg und Universitätsprofessor. Der Vater hat im Ausland studiert, in Paris, in Berlin. Man war wohlhabend, hatte eine französische Gouvernante im Haus. Der Oberleutnant, 1907 geboren, hat noch etwas von diesem »gewesenen« Lebensstil abbekommen.
Nach dem ersten Austausch von französischer Rede und Gegenrede ist es wieder still zwischen uns. Der Oberleutnant ist mir gegenüber spürbar unsicher geworden. Unvermittelt sagt er in die Luft hinein: »Oui, je comprends. Mais je vous prie, Mademoiselle, n'y pensez plus. II faut oublier. Tout.« Er sucht nach den rechten Vokabeln, spricht eindringlich und ernst. Ich darauf: »C'est la guerre. N'en parlons plus.« Und wir sprachen nicht mehr davon.
Schweigend betraten wir den offen daliegenden, gänzlich zerschlagenen, ausgeplünderten Raum der Bankfiliale. Wir stolperten über Schubladen und Karteikästen, wateten durch Papierfluten, traten vorsichtig um Kothaufen herum. Überall Fliegen, Fliegen, Fliegen... Nie hab ich in Berlin solche Fliegenmassen gesehen und gehört. Hab gar nicht geahnt, daß die solchen Lärm machen können.
Auf einer Eisenleiter kletterten wir hinab in den Tresorraum. Unten lagen massenhaft Matratzen herum. Dazwischen die ewigen Flaschen und Fußlappen, und zerschnittene Koffer und Mappen. Über allem dicker Gestank, Totenstille. Wir krochen wieder aufwärts ans Licht. Der Oberleutnant notierte.
Draußen die stechende Sonne. Der Oberleutnant will rasten, ein Glas Wasser trinken. Wir wandern ein Stück straßenabwärts, die einsame, öde, schweigende Straße hinunter, die für uns allein daliegt. Auf einem Stück Vorgartenmauer unter Fliederbäumen setzen wir uns nieder. »Ah, c'est bien«, sagt der Russe. Aber lieber noch spricht er russisch mit mir. Sein Französisch, so rein und gut es in der Aussprache ist, ermangelt doch offenbar der Übung und ist nach den ersten Phrasen und Fragen so ziemlich erschöpft. Mein Russisch findet er ganz wacker, lächelt allerdings über meinen Akzent, den er – »Excusez, s'il vous plait« – jüdisch findet. Begreiflich; denn des russischen Juden Muttersprache ist ja das Jiddische, also ein deutscher Dialekt.
Ich schaue dem Oberleutnant in das bräunliche Gesicht und überlege, ob er wohl ein Jude sei. Ob ich ihn danach frage? Aber gleich verwerfe ich diesen Einfall als taktlos. Nachträglich fällt mir auf, daß mir unter allen Schmähungen und Vorwürfen von Seiten der Russen niemals die Judenverfolgungen vorgeworfen worden sind; und wie der Kaukasier damals gleich beim ersten Satz, den er zu mir sprach, sich energisch dagegen verwahrte, für einen Juden gehalten zu werden. In die Fragebögen, die jedermann in Rußland ausfüllen mußte, als ich dort war, trug man das Wort »Jude« in die ethnographische Spalte ein, wie »Tatare« oder »Kalmücke« oder »Armenier«. Und mir fällt die Büro-Angestellte ein, die mit Gezeter die Eintragung »Jude« verweigerte – ihre Mutter sei eine Russin gewesen. Trotzdem findet man auf den Ämtern, bei denen man als Ausländer vorstellig werden muß, sehr viele jüdische Bürger mit den typisch deutschen Namen von sinnig blumigem Klang, wie Goldstein, Perlmann, Rosenzweig. Meistens sprachkundige Leute, dem Sowjetdogma ergeben, ohne Jehovah, Bundeslade und Sabbath.
Wir sitzen im Schatten. Hinter uns wieder eine von den roten Holzsäulen. Ein stiller Schläfer liegt darunter, der Feldwebel Markoff. Als sich die Tür zur Kellerwohnung einen winzigen Spalt weit öffnet und eine Uralte herausspäht, bitte ich für den Russen um ein Glas Wasser. Es wird freundlich herausgereicht, kühl im beschlagenen Trinkglas. Der Oberleutnant erhebt sich und bedankt sich mit einer Verbeugung.
Ich muß an den Major und sein Knigge-Benehmen denken. Immer Extreme. »Frau komm!« und Exkremente im Zimmer; oder Zartheit und Verbeugungen. Der Oberleutnant jedenfalls könnte nicht höflicher sein, mich nicht damenhafter behandeln. Offenbar bin ich in seinen Augen wirklich eine Dame. Überhaupt hab ich das Gefühl, daß wir deutschen Frauen, soweit wir einigermaßen sauber und manierlich und mit
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