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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Seelen ist. Ein schmales Kerlchen, blitzblank, hellblond, spricht auffallend leise. Er kann bloß Russisch, hat aber eine Dolmetscherin zur Seite, die Deutsch und Russisch nur so rasselt, beides akzentfrei. Ein bebrilltes Mädchen in kariertem Kleid, keine Soldatin. Windgeschwind übersetzt sie, was gerade eine spitznasige Kaffeehaus-Inhaberin äußert. Sie will ihren Laden wieder aufmachen? Großartig, das soll sie. Was braucht sie dazu? Mehl, Zucker, Fett, Wurst. Hm, hm. Was hat sie denn noch? Malzkaffee? Gut, so soll sie den ausschenken und, wenn möglich, Musik dazu bieten, vielleicht einen Plattenspieler aufstellen, denn es kommt darauf an, daß sich das Leben recht bald wieder normalisiert. Strom soll sie morgen mit ihrer ganzen Straße wieder bekommen, verspricht der Kommandant. Aus dem Nebenraum tritt, von der Dolmetscherin gerufen, ein Mann, wohl Elektroingenieur, der anhand von Blaupausen nun dem Kommandanten zeigt, wie es mit der Stromversorgung seines Bezirks steht. Ich reckte den Hals; unser Block war aber nicht mit drauf.
    Es folgten etliche Bittsteller: Ein Mann im blauen Monteurkittel fragt, ob er ein Pferd, das lahm und blutig drüben im Park liegt, heimholen und gesund pflegen darf. Bitte sehr – wenn er sich auf Pferde versteht. Heimlich wundere ich mich, daß dieses Pferd noch nicht in paßgerechte Stücke für den Kochtopf zerteilt worden ist. Oder ist die Zeit wilden Schlachtens vorüber? Erstaunlich, wie ein jeder plötzlich bemüht ist, für sein Tun eine Erlaubnis einzuholen, sich den Rücken zu decken. Das Wort »Kommandant« ist in diesen Tagen ein Schlüsselwort.
    Ein Betriebsführer mit zwei Stenotypistinnen meldet seinen Kleinbetrieb an, eine Werkstatt für Ofenrohre, die aber mangels Material derzeit stilliegt. »Budit«, sagt der Kommandant. »Budit«, die russische Zauberformel, von der Dolmetscherin tröstend übersetzt mit: »Wird schon wieder werden.« Ja, »budit« kann auch ich übersetzen, ebenso die zweite Zauberformel »sawtra«, was »morgen« heißt.
    Es folgen zwei Herren, die offenbar Direktoren einer Schokoladenfabrik sind. Sie haben ihren eigenen Dolmetscher mitgebracht, etwa von meiner Güte, wohl jemand, der als Arbeiter oder Soldat etliche Zeit in Rußland war. Zwar ist es noch nichts mit Schokolade; dafür wollen die Männer Roggenmehl aus einem Vorort-Lager holen, wollen Nudeln daraus fabrizieren. Sollen sie! Einen Lastwagen verspricht ihnen der Kommandant für »sawtra«.
    Sachliche Luft, gar keine Stempel, wenig Papier. Der Kommandant arbeitet mit kleinen Kritzelzetteln. Ich war ganz Auge und Ohr, sah die Obrigkeit funktionieren, fand's spannend und erfreulich.
    Schließlich war die Reihe an mir. Ich legte dreist los, gestand, was der Kommandant ohnehin hörte: daß ich so vielfältigen Übersetzungsanforderungen sprachlich nicht gewachsen sei. Freundlich erkundigte er sich, woher mein Russisch stammt, welche Art von Arbeit ich gelernt hätte. Meinte dann, in absehbarer Zeit würden gewiß wieder Leute verlangt, die mit Kamera und Zeichenstift umgehen könnten – ich solle es abwarten. Ich bin's zufrieden.
    Derweil waren zwei Russen eingetreten, beide blank gestiefelt, reich dekoriert, in frisch geplätteten Uniformen. Das Gewaschen- und Gestriegeltsein ist bei ihnen ein Stück »Kultura«, ein Zeichen höheren Menschentums. Ich entsinne mich noch der Plakate, die damals in allen Moskauer Ämtern und Straßenbahnwagen hingen, mit dem Slogan: »Wasche dir täglich Gesicht und Hände, mindestens einmal im Monat das Haar.« Dazu kleine, niedliche Bilderchen mit viel Gepruste und Waschnapfgeschwenke. Auch das Stiefelputzen gehört zu dieser Kultura und Reinlichkeitsreligion. Drum wundert es mich nicht, wie betont blank sie daherkommen, sobald sie können.
    Die beiden Männer unterhalten sich halblaut mit dem Kommandanten. Schließlich wendet sich dieser an mich und fragt mich, ob ich wohl den Oberleutnant Soundso (Tsch-tsch-tsch..., zwar diesmal deutlich, doch vergaß ich es gleich wieder) auf einigen Wegen dolmetschend begleiten könne – er sei beauftragt, die Banken des Bezirks zu inspizieren. Mir ist das recht. Ich bin froh über jedes Tun, das nicht aus Wasserholen und Holzsuchen besteht.
    Neben dem dunklen, gutaussehenden Offizier trabe ich durch die Berliner Straßen. Langsam und in deutlichster Aussprache, so wie man mit sprachschwachen Ausländern redet, erklärt er mir, daß wir zuerst den deutschen Bürgermeister aufsuchen und von ihm eine Liste der

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