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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Schulwissen ausgerüstet daherkommen, in den Augen der Russen höchst achtbare Geschöpfe sind, Vertreter einer höheren Kultura. Selbst der Holzfäller Petka muß etwas Derartiges gespürt haben. Vielleicht wirkt auch der Rahmen mit, in dem sie uns finden: die paar polierten Restmöbel, die Klaviere und Bilder und Teppiche, all der Bürgermief, der ihnen so großartig vorkommt. Mir fällt ein, wie Anatol sich mal über den Wohlstand unserer Bauern verwunderte, auf den er in den Dörfern am Wege des Krieges gestoßen ist: »Sie hatten alle Schubladen voll Sachen!« Ja, die vielen Sachen! Das ist ihnen etwas Neues. Bei ihnen hat man nur wenig Sachen. Sie lassen sich in einem Zimmer verstauen. Und statt des Kleiderschrankes gibt es in manchen Familien bloß ein paar Haken an der Wand. Haben sie aber einige Sachen, so kriegen sie sie flink kaputt. Das ewige Geflick und Gepussel deutscher Hausmütter macht den Russinnen keinen Spaß. Ich hab's selber in einer Ingenieurs-Familie miterlebt, wie die Hausfrau in der Stube den Dreck zwar zusammenfegte, ihn aber zum Schluß unter einen Schrank kehrte, wo sicherlich schon mehr lag. Und hinter der Stubentür hing ein Handtuch, in dem sich alle drei Kinder der Familie schneuzten – das Kleinste unten, die Größeren höher. Ländlichsittlich.
    Wir saßen eine ganze Weile auf dem Mäuerchen, schwatzten und ruhten aus. Nun will der Oberleutnant wissen, wo ich wohne, wie ich lebe. Er möchte mich besser kennenlernen, wobei er sich gleich gegen jeden falschen Verdacht verwahrt: »Pas ça, vous comprenez?« – So sagt er und schaut mich mit nebligen Augen an. Oh ja, ich verstehe.
    Wir verabreden uns für den Abend. Er wird auf der Straße nach mir rufen. Ich werde um die abgemachte Zeit am Fenster horchen. Er heißt Nikolai. Seine Mutter nennt ihn Kolja. Nach seiner Frau frage ich nicht. Sicherlich hat er Weib und Kinder. Was geht es mich an? Zum Abschied sagt er: »Au revoir.«
    Ich heim und der Witwe alles brühwarm berichtet. Sie ist entzückt. »Du, den halte dir. Endlich mal ein gebildeter Mensch aus gutem Haus, mit dem man sich unterhalten kann.« (Auch Pauli und die Witwe können etwas Französisch.) Dazu sieht die Witwe im Geiste bereits wieder die Produkte anrollen, ist überzeugt, daß Nikolai Zugang zu Lebensmitteln hat, etwas für mich – und damit für uns alle drei – tun wird. Ich weiß nicht recht. Einerseits kann ich nicht bestreiten, daß er sympathisch ist. Er ist der westlichste unter all den Russen, die ich bisher als Sieger traf. Andererseits hab ich keine Lust auf einen neuen Mann, berausche mich immer noch am Alleinsein zwischen sauberen Laken. Überdies will ich endlich aus dem ersten Stock und von der Witwe weg; vor allem von Herrn Pauli, der mir jede Kartoffel mißgönnt. Ich möchte wieder hinaufziehen in die Dachwohnung, sie säubern, bewohnbar machen. Was soll ich also noch für die paar Tage dem trägen Pauli Essen anschlafen? (Auch so ein neues Wort von uns. Wir haben mit der Zeit einen seltsamen Jargon entwickelt, reden von Majorszucker und Schändungsschuhen, von Plünderwein und Klaukohle.)
    Weiter, am späten Abend. Gegen 20 Uhr lauerte ich am Fenster, wie abgesprochen, doch kein Nikolai kam. Herr Pauli verulkte mich mit meiner ungetreuen Eroberung. Die Witwe, noch hoffnungsvoll, behielt immerfort den Wecker im Auge. Da, als es schon dämmerte, draußen der Ruf: »C'est moi!« Ich öffnete, nun doch ganz aufgeregt, führte ihn hinauf in unsere Wohnung. Er kam jedoch nur für eine Viertelstunde, und nur, um zu sagen, daß er nicht kommen, nicht bleiben könne. Die Witwe und Herrn Pauli begrüßte er in feierlichem Französisch und verabschiedete sich gleich wieder mit seinem »Au revoir«. Im Flur sagte er auf russisch, wobei er mir die Hände drückte: »Bis Sonntag abend um acht.« Und, wieder auf französisch: »Vous permettez?« Was wir schon zu erlauben haben? Aber vielleicht weht nun wirklich ein anderer Wind. Auf Inflation oder neues Geld tippt Nikolai übrigens nicht, ich hab ihn heute morgen danach gefragt. Er meint, unser bisheriges Geld werde vorläufig im Umlauf bleiben, doch werde das Bankwesen stark vereinfacht. Ich: »Aha, wohl sozialisiert?« Darauf er: »Nein, doch nicht, es sind ganz andere Verhältnisse.« Und er sprach von etwas anderem.
    Donnerstag, 17. Mai 1945
    Früh auf, Wasser geholt am neuen Hydranten. In einem Ladenfenster hängt eine Zeitung, nennt sich Tägliche Rundschau, ein Blatt der Roten Armee für die »Berliner

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