Eine Frau mit Geheimnis
profitieren. Aber wenn Sie, Alexandrow Iwanowitsch, oder andere Mitglieder des Zarengefolges durch die Londoner Straßen wandern, können Sie sich nicht verständlich machen. Deshalb werden Sie möglicherweise in gefährliche Situationen geraten.“
„Dann verlassen wir uns auf unseren großherzoglichen Verbindungsoffizier, der uns sicher retten wird, nicht wahr?“, fragte Alex herausfordernd.
Dominic lachte. „Diese Antwort hätte ich von einem scharfzüngigen Londoner Zyniker erwartet, nicht von einem kampferprobten Kavalleristen.“
„Sorgen Sie sich nicht, Calder. Wenn ich auch keine englischen Sprachkenntnisse besitze – ich trage stets meinen Säbel bei mir und kann mich selber retten, falls Sie mir nicht beistehen.“
Lächelnd musterte Major Zass, der Hauptadjutant des Zaren, die jungen Offiziere, die sich im Pulteney Hotel versammelten. „Trotz der Probleme an Bord des Schiffs ist alles gut gegangen.“
Alex errötete. Offensichtlich spielte er auf ihre Seekrankheit an. Hätte der Duke of Calder ihr nicht geholfen, wäre es noch schlimmer gewesen. So fürsorglich und verständnisvoll hatte er sich um sie gekümmert – fast wie ein Bruder.
Welch ein seltsamer Gedanke … Würde sich ein älterer Bruder so verhalten? Das wusste sie nicht. Ihr einziger Bruder war noch ein Kind. Aber Calder …
Nun wies Zass seine Offiziere auf ihre verschiedenen Pflichten hin. „Und Sie, Alexandrow …“ Der Klang ihres Namens riss sie aus ihrem Tagtraum. Hastig schlug sie die Hacken zusammen. „Sie werden Seine Kaiserliche Majestät begleiten, wenn er ausreitet oder die Londoner Sehenswürdigkeiten besucht. An den Bällen und Empfängen müssen Sie nicht teilnehmen. Wie wir alle festgestellt haben …“, vielsagend schaute er in die Runde, und die Männer grinsten wissend, „… ist unser Hauptmann Alexandrow ein miserabler Tänzer. Und ich wette, er fürchtet sich vor den Damen.“
Schallendes Gelächter übertönte Alex’ Protest. Natürlich war jeder Widerspruch sinnlos, denn der Major hatte recht. Wann immer es möglich war, mied sie weibliche Gesellschaft, weil sie nicht riskieren durfte, dass eine Frau die Maskerade durchschaute.
„Um wieder ein ernsteres Thema anzuschneiden“, fuhr Zass fort, „Sie alle werden den Duke of Calder kennenlernen, den Verbindungsoffizier, den uns die britische Regierung zugeteilt hat. Er spricht angeblich nur Französisch und Englisch. Aber wer weiß, vielleicht beherrscht er auch Russisch. Also dürfen Sie in seiner Gegenwart kein Wagnis eingehen“, mahnte er. „Was immer Sie sagen – nehmen Sie keinesfalls an, er würde es nicht verstehen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“
„Ja, Major“, antworteten die Offiziere im Chor.
„Sehr gut. Alexandrow, offenbar haben Sie sich mit dem Duke angefreundet.“
„Nun, er war sehr liebenswürdig, als ich an Bord krank wurde …“
„Mag sein, aber …“ Zass unterbrach sich und runzelte die Stirn. „Kommen Sie, ich möchte unter vier Augen mit Ihnen reden.“
Während er Alex in einen Nebenraum führte, begannen die anderen Offiziere gut gelaunt zu plaudern.
„Es wäre äußerst nützlich, wenn Sie Ihre Freundschaft mit dem Duke of Calder vertiefen würden, Alexandrow“, betonte der Major. „Vermutlich ist er nicht, was er scheint. Zum Beispiel – warum übernimmt kein Geringerer als ein Herzog die Position eines Verbindungsoffiziers? Im britischen Heer muss es zahlreiche Offiziere geben, die gut genug Französisch sprechen, um diese Aufgabe zu erfüllen.“
„Also halten Sie ihn für einen Spion, Major?“, fragte Alex verwundert. Sie hatte Calders Freundlichkeit ohne Hintergedanken akzeptiert und sich sogar für ihn erwärmt. Machte er ihr etwas vor, weil er ihr Vertrauen gewinnen wollte? Zu welchem Zweck? Sie war das jüngste Mitglied des Zarengefolges. Und sie kannte keine Staatsgeheimnisse.
„Immerhin wäre es möglich. Die Engländer stellten sich jahrelang ganz allein gegen Bonaparte und vertrauten niemandem. Jetzt sind wir vielleicht ihre Verbündeten. Aber es gab Momente …“
Alex stockte der Atem. Würde Zass den Zaren kritisieren? Nein, undenkbar …
„Sicher taten die Verbündeten nur, was für das Wohl ihrer Länder nötig war.“ Der Major lachte heiser. „So wie unser geliebter Monarch. Aber vom Standpunkt der Engländer aus betrachtet, könnte es anders aussehen. Nach ihrer Ansicht sind alle Verbündeten wankelmütig und unberechenbar. Und die Briten haben den Russen noch nie
Weitere Kostenlose Bücher