Eine Freundin zum Anbeissen
ihren ersten eigenen Laden. »Die Klobrille" sollte der Laden heißen. Elvira Tepes war sich sicher, damit in eine Marktlücke zu stoßen.
Der Laden war zwar etwas klein, dafür umso gemütlicher. ›Verkaufsatmosphäre‹ war das Zauberwort, und das hatte der Laden. Und er hatte einen netten Vermieter. Der Brunch mit Peter war nicht nur in kulinarischer Hinsicht köstlich gewesen. Elvira hatte sich bestens unterhalten. Dieser Peter war wirklich ein reizender Mensch, denn er hatte ihr sogar einen riesengroßen Blumenstrauß mitgebracht. Was für ein Glücksfall, Peter als Vermieter zu haben!
Das sah Herr Tepes etwas anders. Er fand Vermieter, die seine Frau zum Brunch einluden und mit Blumen beschenkten, sehr verdächtig. Er musste diesen Peter gar nicht erst kennenlernen, um ihn unsympathisch zu finden. Aber Frau Tepes war viel zu gut gelaunt, um die merkwürdige Stimmung ihres Mannes richtig zu deuten. (Außerdem hatte Mihai Tepes viele Stimmungen, die von einer Sekunde auf die andere wechseln konnten. Da kam man manchmal einfach nicht mehr mit.)
Doch Herr Tepes war nicht der Einzige mit schlechter Laune. Als Frau Tepes erklärte, dass der Laden zu klein für die Lagerung der Klobrillen war, die 250 Klobrillen oben im Zimmer blieben und Silvania sich weiterhin ein Zimmer mit Daka teilen musste, verfinsterten sich die Gesichter der Zwillinge.
»Wie lange?«, fragte Silvania.
Frau Tepes fuhr sich durch die rotbraunen Haare. »Bis ich einen anderen Lagerraum gefunden habe. Oder bis ich 250 Klobrillen verkauft habe.«
»Das kann sich ja nur um Jahre handeln.« Daka stöhnte.
»Ach was, die gehen ratzfatz weg. Allerdings ...«
»Was?«, fragten Daka und Silvania gleichzeitig.
»Na ja, wenn es richtig gut läuft, muss ich natürlich sofort Ware nachbestellen.« Frau Tepes lächelte kurz, doch als sie die ernsten Gesichter ihrer Töchter sah, ließ sie es bleiben. »Es tut mir leid. Ich verspreche euch, es wiedergutzumachen. Aber ich kann die Klobrillen nun mal nicht im Keller lagern. Der ist schon besetzt.«
»Frag doch deinen reizenden Vermieter«, warf Herr Tepes ein, der gerade aus dem Keller kam. »Bestimmt stellt er deine Klobrillen gerne für ein paar Monate in seinem Wohnzimmer ab. Vielleicht wärmt er sie sogar einzeln für die Kundschaft vor.«
Frau Tepes warf ihrem Mann einen irritierten Blick zu.
Daka und Silvania verzogen sich lieber auf ihr Zimmer. Gemeinsam suchten sie Silvanias Kette. In den Betten, unter den Betten, in den Schränken, auf den Kommoden, neben Silvanias Hutständerbaum, auf dem Teppich, sogar bei Karlheinz im Aquarium. Aber die Kette blieb verschwunden.
So war es kein Wunder, dass vor dem Abendbrot eine bedrückte Stimmung herrschte. Zum Glück kamen Oma Rose und Opa Gustav zum Abendessen. Das waren die Eltern von Elvira Tepes. Sie wohnten im Westen der Stadt in einer großen Altbauwohnung. Opa Gustav war in einem Dorf, nur etwa dreißig Kilometer von Bindburg entfernt, aufgewachsen. Genau wie Mihai Tepes liebte er seine Heimat. Aber im Gegensatz zu seinem Schwiegersohn hatte er sie nie verlassen. Oma Rose war in einer kleinen Stadt an der Ostsee zur Welt gekommen (das war schon über 60 Jahre her). Sie war oft umgezogen und viel in der Welt herumgereist. Sie liebte Kunst, Geschichte und Seifenopern. Oma Rose arbeitete als Museumsführerin. Opa Gustav war seit vier Jahren Rentner. Vorher hatte er 42 Jahre in einem Autohaus gearbeitet. Erst als Lehrling, dann als Mechaniker, danach als Meister und schließlich als Geschäftsführer. Obwohl es einen tüchtigen neuen Geschäftsführer gab, sah Opa Gustav ab und zu noch mal nach dem Rechten im Autohaus.
Mit den meisten Menschen verstand sich Opa Gustav sehr gut, vor allem, wenn es um Autos und Fußball ging. Nur mit seinem Schwiegersohn hatte er Probleme. Es war ihm ein Rätsel, warum sich seine Elvira in so einen eigenartigen und praktisch unbegabten Mann verliebt hatte.
Vielleicht wäre Opa Gustav einiges klarer geworden, hätte er gewusst, dass sein Schwiegersohn ein Vampir war. Und seine Enkelinnen Halbvampire. Aber Elvira und Rose (die es spannend fand, Vampire in der Familie zu haben, und sich als Kind immer selbst gewünscht hatte, anders zu sein) hatten es nicht geschafft, Opa Gustav über den delikaten Familienhintergrund aufzuklären. Bei den Reisen nach Transsilvanien hatte Gustav seine Frau nie begleitet. Er war einfach unabkömmlich im Autohaus gewesen. Außerdem – wozu so viele Kilometer reisen, wenn es doch zu
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