Eine Freundschaft im Winter
Blick auf den Futon am Straßenrand. Er wusste, dass es die richtige Entscheidung war, und doch fühlte er sich, als würde er Kate betrügen, als würde er sie mit einem Schild, auf dem Zu verschenken stand, am Straßenrand ablegen. Als wäre das neue Bett Jill, die er ins Haus brachte, damit sie Kate ersetzte. Und er wusste, dass es ein dummer Gedanke war. Ein falscher, dummer Gedanke.
Er begleitete Ben zur Tür, bedankte sich bei ihm und schickte ihn mit einem Sixpack Alaskan Amber nach Hause. Dann ging er nach oben, um das neue Bett zu beziehen.
Jill hatte zwar einen Kleiderschrank, aber sie brauchte noch eine Kommode in ihrem Zimmer. Sie musste schließlich ihre Sachen unterbringen. Auch wollte er ihr im Bad eine Schublade freiräumen. Er trug den kleinen Lesetisch hinein, eine Lampe und einen Wecker.
Dann holte er ein Blatt Papier und einen Stift, um ihr eine Nachricht zu schreiben, da er bei der Arbeit sein würde, wenn sie am nächsten Abend kam. Doch ihm fiel nicht ein, was er schreiben sollte. Was ihm auch durch den Kopf schoss – es klang entweder wie eine große Geste, die sie zur Dankbarkeit zwang und ihr die Verpflichtung abrang, bei ihnen zu bleiben, oder es klang wie etwas ganz Unwichtiges ohne weitere Bedeutung. Beides entsprach nicht der Wahrheit. Die Wahrheit war, dass er sie einfach mochte. Vielleicht liebte er sie sogar. Und er wollte, dass sie sich wohlfühlte. Er wollte, dass sie blieb. Aber das konnte er nicht aufschreiben, also ließ er es bleiben.
Als Cassie den Kopf ins Zimmer steckte, ergriff sie das Gefühl der Veränderung. Zweifelsohne hatte eine Veränderung stattgefunden. Als ihre Mutter noch gelebt hatte, war dies das Arbeitszimmer gewesen, und der Raum hatte ein bestimmtes Aussehen gehabt – nun sah er vollkommen anders aus. Die Veränderung bedeutete, dass Platz für einen neuen Menschen geschaffen worden war. Es kam ihr so endgültig vor. Zwar hatte sie den ganzen Winter über gewusst, ihre Mutter würde nicht zurückkommen, und sie hatte Jill als ihr Kindermädchen schätzen gelernt. Doch als sie jetzt dieses Zimmer sah, traf die Endgültigkeit der Situation sie wieder mit voller Wucht. Die Dinge hatten sich verändert, und sie würden nie wieder so werden, wie sie einmal gewesen waren.
Ihr war aufgefallen, wie ihr Dad Jill ansah. Ihr war auch aufgefallen, wie Jill seine Blicke erwiderte. Und obwohl sie sich dabei nicht sonderlich wohlgefühlt hatte, hatte sie es nie als Bedrohung angesehen – bis jetzt. Bis zu diesem Moment, in dem ihr Vater einen Teil ihres Zuhauses für Jill umgestaltet hatte. Was bedeutete das? War sie nun ein Mitglied der Familie?
Cassie war wütend auf beide, doch Jill war offensichtlich die Außenstehende und damit leichte Beute. Aber ihr Dad … Fing er allmählich an zu vergessen? Vergaß er gerade alles über ihre Mom? Geriet alles in Vergessenheit, und zwar so langsam, dass es einem kaum auffiel, oder in so kleinen Häppchen, dass sie leicht zu schlucken waren? Sie war wütend auf ihn – wütend, weil er die Erinnerungen an die Zeit nicht konservierte, als ihre Familie vereint und glücklich gewesen war und als alles auf der Welt richtig und gut schien.
Zugleich wusste sie jedoch, wie dumm es war, auf die beiden wütend zu sein. Ihr war klar, dass Jill nicht versuchte, den Platz ihrer Mutter einzunehmen. Und ihr war klar, dass ihr Dad niemals vergessen würde. Sie wusste, dass die Dinge sich jetzt einfach verändert hatten.
Und trotzdem gefiel es ihr nicht. Sicher wollte sie, dass Jill es gemütlich hatte. Sie wusste nur nicht, ob sie wollte, dass Jill es so gemütlich hatte. Cassie hatte eine Familie – und Jill gehörte nicht dazu.
30. Kapitel
Schneebericht für den 6. April
Aktuelle Temperatur: 2,2°C, Höchstwert: 3,3°C um 15 Uhr,
Tiefstwert: 1,1°C um 4 Uhr.
Meist klarer Himmel, gelegentliche Schauer.
Wind aus Süd mit 16 km / h.
239 cm am Berg, 269 cm auf dem Gipfel; 0 cm Neuschnee in den letzten 24 Stunden; 0 cm Neuschnee in den letzten 48 Stunden.
D en ganzen Tag lang hatte Cassie über das neue Zimmer nachgedacht. Und als sie nun nach Hause kam, war sie bereit, Jill unmissverständlich klarzumachen, wie ihre Meinung dazu lautete. Es würde nicht angenehm werden. Sie sah Jill Zeitung lesend am Esstisch sitzen. Coach Ernies Hund Amber lag zu ihren Füßen.
»Hi, Cassie! Als ich auf der Suche nach alten Siddhartha -Ausgaben einige Antiquariate durchforstet habe, sind mir ein paar Bücher für dich in die Hände gefallen.
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