Eine Freundschaft im Winter
ich, wie dumm das war.«
»Weißt du, Jill, die Kostbarkeit des Verhältnisses zwischen Onkel und Nichte wird in unserer kulturellen Weltanschauung meist übersehen.« Bei Onkel Howard war es oft bedeutsamer, seine Miene zu beobachten, als seine Worte zu begreifen. So ver stand man eher, was er zu sagen versuchte. Im Moment wollte er ihr vermitteln, dass er ihr verziehen hatte. »Und schließlich habe ich es ja auch nicht geschafft, nach Austin zu kommen. Ich weiß nicht, wohin all die Jahre gegangen sind.«
»Du hast mir wenigstens von Zeit zu Zeit eine nette Postkarte geschickt. Ich wollte antworten, doch ich war immer auf dem Sprung zur Arbeit, zum Einkaufen oder nach Hause. Ich schäme mich dafür.« Sie hatte all seine Postkarten aufgehoben, auf denen immer ein kurzer philosophischer Satz gestanden hatte.
Er lächelte gütig. »Hast du in letzter Zeit etwas von meiner Schwester gehört?«
»Mom hat mir geschrieben, dass sie wisse, wie es sich anfühlt, ein Kind zu verlieren, da mein Austritt aus der Kirche für sie ein spiritueller Tod gewesen sei.«
Er zuckte zusammen. »Die gute alte Kirche der Mormonen – sie spendet den Menschen Trost, wo sie nur kann … Das tut mir leid für dich«, sagte er kopfschüttelnd. »Wir hatten keine leichte Kindheit. Dein Großvater war ein jähzorniger Alkoholiker, und deine Mom hat sich für die Kirche entschieden, weil sie dir unsere Erfahrungen ersparen wollte. Wenn du es schaffst, sei nachsichtig mit ihr. Versuche zu verstehen, dass sie es gut meint, dass sie Muster durchbrechen will, damit sich das Vorgefallene nicht wiederholt.«
»Was habe ich nur getan, um all das zu verdienen«, fragte Jill.
»Du hast nichts getan. Du bist ein guter Mensch, und daran sollst du nicht zweifeln. Mach dir das klar. Jede Beziehung erfüllt eine Zeit lang einen Sinn. Irgendwann wächst man vielleicht darüber hinaus, und dann hilft das Universum dir, dich aus der Beziehung zu befreien, damit du das nächste Kapitel in deinem Leben aufschlagen kannst.«
Jill wusste, dass das ein Trost sein sollte, aber die Aussicht, ein ganz neues Kapitel in ihrem Leben aufzuschlagen, machte ihr Angst. »Onkel Howard, was soll ich nur machen?«
»Tja, zuerst einmal bleibst du hier. Du wirst deine Kraft zurückgewinnen. Und dann, wenn dein Geist so klar ist wie das Wasser hier, wirst du wissen, was zu tun ist.«
Jill nickte, aß die letzten beiden Bissen und fragte sich, wie die Chancen standen, dass ihr Geist jemals so klar sein würde, dass sie Onkel Howards Stufe der Weisheit erlangte.
Onkel Howard packte seinen Rucksack, warf einen Blick auf die Uhr und sagte: »Ich muss zurück auf den Berg. Heute Nacht wird ein Sturm erwartet. Ich bin nur einen Anruf weit entfernt, falls du irgendetwas brauchst.«
Jill brachte ihn zur Tür und umarmte ihn. »Ich liebe dich, Onkel Howard«, sagte sie. »Du bist mein Fels in der Brandung.«
»Ich liebe dich auch. Wir sehen uns morgen«, erwiderte er.
Lisa erinnerte sich daran, dass sie für Jill getoastete Käsesandwiches gemacht hatte, als sie vor Jahren nach Sparkle gekommen war. Jill war das dünnste Mädchen gewesen, das Lisa je gesehen hatte. Und zwar auf ungesunde Art und Weise. Nach vier Monaten und unzähligen Käsetoasts hatte Jill allmählich wieder wie ein normales Mädchen ausgesehen. Lisa mit ihren italienischen Wurzeln hatte das als sehr befriedigend empfunden. Jetzt nahmen sie ihre angestammten Plätze ein – Jill auf dem Hocker am Küchentresen und Lisa an der Anrichte, um Käse zu schneiden. Es war beruhigend und tröstlich zugleich.
»Ich habe nachgedacht …«, sagte Lisa, doch ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. Ohne auf Lisas Aufforderung zu warten, stürmten Eric und Hans durch die Küche ins Wohnzimmer.
»Lasst euch nicht stören«, sagte Eric, der kleinere von beiden. Genau genommen war er nicht klein – nur im Vergleich zu Hans, der über zwei Meter groß war, wirkte er so. Beide hatten braune Haare und ein freches Grinsen im Gesicht.
Hans stand schon am DVD -Player. »Eric hat mir zum Geburtstag einen geilen neuen Snowboardfilm geschenkt.«
»Es könnte sein, dass Hans gestern Abend betrunken war und eine Scheibe Scheiblettenkäse in unseren DVD -Player gelegt hat. Er wollte wissen, was dann auf dem Bildschirm erscheint«, sagte Eric.
Hans korrigierte ihn. »Nein, Alter. Das warst du. Du dachtest, der Scheiblettenkäse im Player würde uns das Geheimnis von Plastik offenbaren.«
»Eric, Hans, darf ich vorstellen: Das ist
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