Eine Freundschaft im Winter
Unschuldsmiene. »Trink ruhig noch mal.«
»›Mit süßen Teilchen braucht’s ein Weilchen, mit Muskateller geht’s wesentlich schneller‹«, zitierte sie ihn.
Er grinste.
»Ich durchschaue deinen Plan.«
Und während sie abwechselnd tranken, beobachteten sie, wie die Sonne hinter den endlosen Berggipfeln verschwand, bis sie schließlich im Dunkeln saßen.
Er stand auf, stellte den Campingkocher auf den Boden und legte Topf und Gabeln in eine Plastikwanne, damit sie sie später spülen konnten. Dann kletterte er auf den hölzernen Picknicktisch, legte sich auf den Rücken und blickte zu den Sternen hinauf.
»Komm zu mir«, sagte er, und Jill legte sich neben ihn. Er ergriff ihre Hand, und ihre Finger verschlangen sich miteinander. Zärtlich strich er mit dem Daumen über ihre Handinnenfläche.
Jill atmete seinen Duft ein – warm, würzig und ein bisschen salzig von der anstrengenden Wanderung den Berg herauf. Sie fand den Geruch unglaublich anziehend, rang jedoch ihre Ungeduld nieder. Ihr war bewusst, dass es für Mike schwierig sein musste, mit einer anderen Frau als Kate zusammen zu sein. Das zwischen ihnen war bedeutungsvoll, groß, und sie wollte, dass er das Tempo bestimmte.
»Es ist schon lange her, dass ich einfach nur in die Sterne geschaut habe«, sagte er.
»Es sind so unendlich viele heute Nacht, dass sie einen fast blenden.«
Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Mike: »Ein wunderschöner Moment.«
»Ich habe mich schon gefragt, woran du denkst.«
»Oh, ich gebe zu, ich habe nicht direkt daran gedacht«, entgegnete er. »Ich habe mich vielmehr gefragt, wann du dich anpirschen und mich küssen würdest.«
Jill lachte. »Dann lag ich ja gar nicht so verkehrt.«
Mike rollte sich auf die Seite und küsste sie bedächtig, bis er ir gendwann innehielt und zärtlich ihr Gesicht berührte. »Wenn du möchtest, kann ich heute noch wieder ins Tal hinuntergehen.«
»Du darfst gern bei mir bleiben«, flüsterte sie.
Er schlang die Arme um sie, und sie blickten noch eine Weile in die Sterne. Sie ließen sich Zeit, um sich an das Gefühl zu ge wöhnen, nebeneinanderzuliegen und sich zu spüren. Sie muss ten erst verarbeiten, was gerade mit ihnen geschah. Und als es Jill irgendwann kalt wurde, setzte sie sich auf, nahm seine Hand und führte ihn hinein.
Cassie sah sich ihre Notizen an und übertrug die Dinge, die Coach Ernie ihr den Winter über erzählt hatte, so genau wie sie sich erinnern konnte.
Meine Mutter war von 1988 bis 1991 die schnellste Skifahrerin hier in Sparkle. Gegen sie Rennen zu fahren brachte ihre Gegner dazu, das Beste aus sich herauszuholen. Wenn sie einen Wettkampf gewann, war sie sportlich und fair. Die Fahrer, die gegen sie antraten, kämpften um die Silbermedaille. Coach Ernie sagt, sie hätte das Zeug zur Olympiasiegerin gehabt.
Sie legte ihr Erinnerungsbuch zur Seite und holte das Buch hervor, das ihre Mutter für sie geschrieben hatte. Wahllos schlug sie eine Seite gegen Ende auf und las:
Gott, wo auch immer du bist, dieses Gebet ist für meine Familie. Wenn ich gehe, wird in ihrem Leben eine Lücke entstehen. Wenn es Zeit ist und ein guter Mensch vorbeikommt, hilf meiner Familie, diesen Menschen willkommen zu heißen. Wenn Mike nie wieder lieben würde, dann würde ich glauben, es liege daran, dass die Ehe mit mir eine so grauenvolle Erfahrung war. Es wäre eine Ehre für mich, wenn er sich noch mehr von dem wünschen würde, was wir hatten.
Ebenso hoffe ich, dass ich als Mutter Cassie so geprägt habe, dass sie allen Frauen liebevoll aufgeschlossen gegenübertreten kann und überall dort mütterliche Fürsorge empfängt, wo es sie gibt – bei Lehrerinnen, Nachbarinnen und Freundinnen … Überhaupt bei all den Menschen, denen wir täglich begegnen. Möge es genug mütterliche Fürsorge in dieser Welt geben, um die entstandene Lücke auszufüllen, bis der richtige Mensch kommt, um diese Familie wieder vollständig zu machen.
Und wenn diese Frau kommt, möge sie all die Schönheit in meiner Cassie sehen, die auch ich in ihr sehe. Möge sie erkennen, dass Mikes Herz größer ist als der Himmel, und möge sie es behandeln wie einen Schatz. Möge sie Stärken haben, wo ich schwach war. Ich bin demütig genug zu wissen, dass ich nicht perfekt war. Niemand ist perfekt. Aber vielleicht können die neue Frau und ich zusammen etwas erschaffen, das vollkommener ist, als ein Mensch allein es kann. Ich wünsche mir, dass meine Familie sich nicht verschließt, sondern
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