Eine Freundschaft im Winter
versuchen.«
»Dieses Rezept ist sehr wirkungsvoll«, entgegnete Onkel Howard. »Es ist das Geheimnis für Zufriedenheit und Glück.«
Jill warf einen Blick auf die Uhr. »Oh, tut mir leid, Onkel Howard, aber meine Pause ist gleich vorbei. Ich muss zurück in den Sanitätsraum.« Sie steckte die Bücher in ihren Rucksack. »Vielen Dank noch mal!«
Er klopfte ihr sacht auf den Rücken, als er sie an der Tür verabschiedete. »Fröhliche Weihnachten, Jilly.«
»Dir auch fröhliche Weihnachten, Onkel Howard. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch«, sagte er, als sie hinaus in die Kälte trat.
Jill schnallte ihre Skier wieder an und glitt über einen kleinen Kamm, während sie darüber nachdachte, welchen Weg hin unter sie nehmen sollte. Allmählich tauchten immer mehr Touris ten auf der Piste auf, nachdem sie den Weihnachtsmorgen in ihrer Gästeunterkunft hinter sich gebracht hatten. Also wählte Jill die leichteste, beliebteste Abfahrt aus, um zu sehen, ob irgendjemand Hilfe brauchte. Doch sie traf nur auf glückliche Familien, die putzmunter gemeinsam Ski fuhren.
Im Sanitätsraum war etwas mehr zu tun als vor ihrer Pause, aber alles in allem war es ruhig im Vergleich dazu, wie es am folgenden Tag werden würde. Das wusste sie aus Erfahrung. Trotzdem war Jill müde, als der letzte Patient gegangen war und die Kollegen der Bergwacht noch einmal den Berg hinunterfuhren, um Ausschau nach Verletzten zu halten. Sie räumte auf, trug ihr Kürzel in die Abwesenheitsliste auf dem Arbeitsplatz ein und ging nach Hause. Lisa hatte recht gehabt – sie wollte nur noch ins Bett.
Auf dem Heimweg wurde Jill beim Anblick der beleuchteten Häuser das Herz schwer. Sie erinnerte sich daran, wie sie zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn nach ihren Nachtschichten zu fortgeschrittener Stunde nach Hause gekommen war. David hatte immer die Weihnachtsbeleuchtung brennen lassen, um sie willkommen zu heißen. Es war nur eine kleine Geste gewesen, doch sie hatte ihr das Gefühl gegeben, geliebt zu werden. Sie hatte sich immer gefreut, zu einem Mann nach Hause zu kommen, der sie liebte. Jetzt, als sie überall die Weihnachtslichter sah, dachte sie daran, wie sie sich erst in der vergangenen Nacht gefragt hatte, ob sie irgendwann überall Liebe sehen würde, wie sie auch irgendwann überall den Weihnachtsmann gesehen hatte. Und ihr wurde klar, dass es so war. Weihnachtslichter standen für sie noch immer für Liebe – selbst wenn sie nicht mehr die Liebe verkörperten, die sie bekam.
Als sie den Zwinger erreichte, war alles dunkel. Die Weihnachtsbeleuchtung war ausgeschaltet. Es war der vollkommene Gegensatz zu ihrer Anfangszeit mit David. Darüber hinaus wa ren die Einzigen, die sie nun begrüßten, die Hunde. Freudig we delten sie mit dem Schwanz. Vielleicht reicht es ja, dachte sie, wenn die Hunde sich freuen, mich zu sehen.
Eric hatte Jill eine Flasche Rotwein, einen Weihnachtskaktus und eine Karte ins Zimmer gelegt. Auf die Karte hatte er nur seinen Namen geschrieben. Hans hatte ihr eine Schachtel Pralinen geschenkt. Jill war überrascht und fragte sich, ob sie die Geschenke schon vorher besorgt hatten oder ob sie in den Supermarkt geeilt waren, nachdem sie gesehen hatten, dass sie Geschenke für sie besorgt hatte. Jill vermutete, dass Letzteres der Fall war. Trotzdem freute sie sich über die Aufmerksamkeiten.
Als sie sich die Zähne putzen wollte, stellte sie fest, dass Tom ihr ein Geschenk auf die Ablage im Bad gelegt hatte. Sie packte es aus und fand drei Stücke Seife von der ortsansässigen Seifenmacherin: Lavendel, Wildrose und Zimt. Die Stücke waren in hübschen Stoff eingewickelt und dufteten himmlisch. Sie fragte sich, wie Tom auf die Idee für ein so schönes Geschenk gekom men war, und ihr schoss durch den Kopf, dass er vermutlich mit der Frau geschlafen hatte. Wie auch immer – es war ein schönes Geschenk.
Ehe sie ins Bett kroch, merkte sie, dass sie David schrecklich vermisste. Also rief sie ihn kurz entschlossen an. Aber sie erwischte nur seine Mailbox. »Es ist hart heute, nicht wahr?«, sagte sie. »Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der das nachvollziehen kann. Ich habe darüber nachgedacht, wie schwer die Trauer ist, wie sie uns zeitweise verrückt macht. Doch ich habe auch an die schönen Zeiten gedacht und an das Versprechen, das wir uns gegeben haben. Und ich möchte mein Versprechen dir gegenüber halten. Ich möchte nur den Winter hier verbringen und mich von allem erholen, sodass
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