Eine Freundschaft im Winter
Nichts ist von Dauer,dachte er. Mit einiger Mühe erinnerte er sich daran, wie es als Teenager gewesen war, wenn das Mädchen, für das sein Herz geschlagen hatte, ihn endlich angelächelt hatte … Was für ein Sieg! Was für ein Wunder! Aber jetzt wusste er zu viel. Er kannte die Wahrheit über die Ehe. Er war nicht so dumm zu glauben, dass einem Paar die schlechten Zeiten erspart blieben. Sie gehörten dazu. Und er kannte sich mit Trennungen aus – er wusste über das unermessliche Leid und den Schmerz in so einem Fall Bescheid.
Blauhäher hüpften in den kahlen Bäumen, die die Straße säumten, von Zweig zu Zweig. Um ihn herum war so viel Schönheit, und doch ging er Tag für Tag daran vorbei und dachte nur an all die Hässlichkeit und die Tragik auf dieser Welt.
Er sah wieder zu Jill. Sie hatte den Blick gesenkt und widmete sich offenbar dem Abwasch. Es war so schön, zu ihr nach Hause zu kommen. Sie war warmherzig und liebenswert. Er konnte ihre Schönheit bestaunen, ohne in widrige Umstände zu geraten. Ganz leicht war das. Von seinem sicheren Platz am Küchentisch aus brauchte er nur dazusitzen und sie anzusehen.
Als sie kurz darauf gemeinsam in der Küche am Tisch saßen, erzählte sie ihm von der Anhörung und davon, wie der Anwalt ihres Mannes versucht hatte, sie als Verrückte hinzustellen. Sie erzählte ihm davon, wie der Richter schließlich entschieden hatte, davon, wie sie beobachtet hatte, wie ihr Ehemann danach mit der Brünetten in ein Auto gestiegen war, davon, wie sie im gemeinsamen Haus gewesen war, um ihre Habseligkeiten abzuholen, und davon, dass sie in ein paar Monaten wieder nach Austin reisen würde, um die eigentliche Scheidung hinter sich zu brin gen. Sie wirkte müde. Trotzdem sah er, wenn er sie anblickte, vor allem eines: Herzensgüte. Und das war in seinen Augen wunderschön. Er musste sich nicht daran beteiligen. Und obwohl er sich fragte, was für ein Mistkerl der Ehemann wohl sein musste, der dieser Frau noch mehr Leid zufügte, war es kein Problem, das er schultern musste. Er konnte still hier sitzen und ihre wundervolle Herzensgüte bewundern.
18. Kapitel
Schneebericht für den 13. Februar
Aktuelle Temperatur: –2,2°C, Höchstwert: – 0,6 °C um 14 Uhr, Tiefstwert: –2,8 °C um 5 Uhr.
Schwerer Schneefall. Wind aus Süd mit 24 km / h.
206 cm am Berg, 229 cm auf dem Gipfel; 56 cm Neuschnee in den letzten 24 Stunden; 97 cm Neuschnee in den letzten 48 Stunden.
I rgendwie schaffte Jills Körper es, einen weiteren harten Tag zu überstehen. Sie hatte sich durch hüfthohen Neuschnee gekämpft, um Lawinenkontrollen durchzuführen. Den Rest des Tages hatte sie damit zugebracht, die Stützpfeiler des Skiliftes auszugraben. Ein Mitarbeiter der Bergwacht hatte eine schmerz hafte Verletzung des Schultergelenks, also musste Jill ihren Platz im Sanitätsraum räumen und andere Pflichten erfüllen. Die drei Monate auf dem Berg hatten sie glücklicherweise positiv verändert: Sie war jeden Abend die Pisten hinuntergewedelt und hatte an ihren freien Tagen zusammen mit Lisa, Eric oder sonst jemandem ein paar Abfahrtsrennen hingelegt. Nun erkannte sie sich selbst kaum wieder.
Bei der Lawinenkontrolle fühlte sie sich zwar noch unsicher, aber Tom hatte sie zu seiner Partnerin gemacht. Während sie nach und nach eingearbeitet wurde, lösten sie gemeinsam durch Sprengungen oder behutsames Lostreten von Schneebrettern an leicht zugänglichen Stellen gezielt einen kleinen Rutsch aus, um größere Lawinenabgänge zu vermeiden.
Als es sechzehn Uhr war, humpelte Jill zu Cassie nach Hause. Es war einer dieser kalten Tage, an denen der Schnee unter ihren Stiefeln knarrte und ihr der Atem in den Wimpern ge fror. Es war der Tag vor dem Valentinstag, und überall sprangen sie Symbole an, die sie im Moment lieber vergessen hätte.
Cassie war an diesem Tag nach der Schule eine Dreiviertelstunde allein zu Hause, bis Jill eintraf. Sie nutzte die Zeit, um ihre Hausaufgaben zu erledigen. Als Jill endlich auftauchte, platzte Cassie vor Vorfreude und sang: »Oh, Ji-hill!«
»Cassie, ich kann dir ansehen, dass du etwas im Schilde führst«, erwiderte Jill.
»Ja-ha!«, entgegnete Cassie aufgeregt.
»Geht es vielleicht um das Abendessen?« Jill schnüffelte.
»Das ist Teil eins!«, sagte Cassie. »Ich hoffe, du weißt, wie man mit Stäbchen isst!«
»Wir kochen asiatisch?«
Cassie nickte und setzte ihr schönstes »Wart’s nur ab«-Lächeln auf.
»Und Teil zwei?«, fragte Jill.
»Ich habe im
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