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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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schicken.« »Spricht sie schon?« McDowell schüttelte bedauernd den Kopf. »Sie ruft dauernd nach diesem Hund, Bruce. Ich weiß nicht, wie viel sie von dem, was zu ihr gesagt wird, versteht, aber wir haben an alle Schichten strenge Anweisungen ausgegeben, ihr das mit den Hunden nicht zu sagen.« »Sind Todd oder Chrissie Pichea da gewesen? Das ist das Ehepaar, das die Vormundschaft bekommen hat.« Ich befürchtete, ihre angeborene Grausamkeit könne dazu führen, dass sie Mrs. Frizell die schlechte Nachricht überbrachten, in der Hoffnung, das beschleunige ihren Tod.
    »Schickes junges Paar? Die waren gestern Abend hier, ziemlich spät, so gegen zehn. Ich war nicht mehr da, aber die Nachtschwester, Sandra Milo, hat's mir erzählt. Haben sich offenbar ziemlich aufgeregt wegen ihrer Finanzpapiere. Grundbuchauszug für ihr Haus oder so. Ich nehme an, sie haben gedacht, sie brauchen das als Sicherheit für die Krankenhausrechnung oder so, aber für den Zustand, in dem sie ist, waren sie viel zu grob zu ihr - haben sie an der Schulter gerüttelt, wollten, dass sie sich aufsetzt und mit ihnen redet. Sandra hat sie ziemlich schnell hinausgeworfen. Sonst ist niemand da gewesen bis auf eine von den Nachbarinnen. Den Namen weiß ich nicht.« »Hellstrom«, sagte ich mechanisch. »Marjorie Hellstrom.« Todd und Chrissie hatten ihre wichtigen Papiere also nicht. Ich hätte einfach angenommen, sie steckten in der furaschicht des alten Sekretärs, aber die Picheas hatten das Haus nach Herzenslust durchsuchen können. Wenn sie den Grundbuchauszug nicht gefunden hatten, wo war er dann?
    »Wie lange behalten Sie Mrs. Frizell noch hier?«, fragte ich schließlich.
    »Sie kann noch nicht verlegt werden. Die Hüfte heilt nicht besonders schnell. Letztlich wird sie in ein Pflegeheim müssen, wissen Sie, falls der Vormund eins findet, das sie sich leisten kann, aber das wird noch lange dauern.«
    Sie schickte mich den Flur entlang in Mrs. Frizells vollgestopften Verschlag. Die Totenmaske im Gesicht der alten Frau war ausgeprägter als vorher, die Löcher unter den Wangen so tief eingefallen, dass ihr Gesicht wie eine dünne graue Schicht Knete über einem Totenschädel wirkte. Ein Speichelfaden lief ihr aus dem rechten Mundwinkel. Sie schnaubte heftig beim Atmen und warf sich unruhig auf dem Bett herum. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich war froh, dass ich seit dem getoasteten Käsebrot vor sechs Stunden nichts mehr gegessen hatte. Ich zwang mich, neben ihr in die Knie zu gehen und ihre Hand zu nehmen. Ihre Finger fühlten sich an wie brüchige Zweige.
    »Mrs. Frizell!«, rief ich laut. »Ich bin's, Vic. Ihre Nachbarin Vic. Ich habe einen Hund, wissen Sie noch?«
    Ihre unruhigen Bewegungen schienen etwas langsamer zu werden. Ich meinte, vielleicht versuche sie, sich auf meine Stimme zu konzentrieren. Ich wiederholte, was ich gesagt hatte, betonte das Wort »Hund«. Daraufhin flatterten ihre Lider leicht, und sie murmelte: »Bruce?«
    »Ja, Bruce ist ein wunderbarer Hund, Mrs. Frizell. Ich kenne Bruce.« Ihre ausgedörrten Lippen gingen ein winziges Stück nach oben. »Bruce«, wiederholte sie. Ich massierte die gebrechlichen Finger sanft zwischen meinen. Es wirkte hoffnungslos, sie von Bruce auf Bankkonten zu bringen, aber ich versuchte es trotzdem. Ich hasste mich, weil ich sie anlog, als ich ihr erzählte, Bruce brauche Futter und dafür brauche ich Geld. Aber sie konnte nicht so reagieren, dass sie über etwas so Kompliziertes wie ihre Entscheidung, im letzten Frühling die Bank zu wechseln, hätte reden können.
    Schließlich sagte sie: »Bruce füttern.« Das war ein Hoffnungszeichen, was ihren Geisteszustand anlangte - es zeigte, dass sie das, was ich sagte, mit den richtigen Synapsen in Verbindung brachte -, aber es half mir nicht bei der Ermittlung ihrer Finanzen. Ich tätschelte ihr ein letztes Mal die Finger und stand auf. Zu meiner Überraschung stand Carol Alvarado hinter mir.
    Wir stießen unisono einen Ausruf aus. Ich fragte, was sie auf der orthopädischen Station mache.
    Sie grinste leicht. »Vermutlich dasselbe wie du, Vic. Weil ich dabei war, als sie gefunden wurde, fühle ich mich für sie verantwortlich. Ich komme hin und wieder vorbei und sehe nach ihr.«
    »Aber in Schwesterntracht?«, fragte ich. »Bist du direkt aus Lottys Praxis hergekommen?«
    »Ich habe eine Stelle in der Nachtwache der Traumastation angenommen.« Sie lachte befangen. »Ich habe viel Zeit bei Guillermo auf der Aids-Station verbracht und

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