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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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herzliches Lächeln ein bisschen dünner zu werden. »Sie wissen doch, dass Lake View sich eine Bank mit vollem Service nennt? Ich frage mich, ob Sie den für mich aufbewahren könnten.« Ich hielt ihr den Schließfachschlüssel hin.
    Sie schüttelte den Kopf, machte sich nicht einmal die Mühe zu lächeln. »Das geht nicht, Vic. Verstößt gegen unsere Vorschriften.«
    Ich klopfte mit einem Knöchel gegen die Zähne und dachte nach. »Könnten Sie ihn mir schicken?«
    Sie verzog das Gesicht. »Glaub schon. Wenn Sie den Umschlag adressieren und selbst versiegeln.«
    Sie zog einen Umschlag aus einer Schublade. Ich nahm eine Handvoll parfümierter Papiertaschentücher von der Ecke ihres Schreibtischs und wickelte den Schlüssel damit ein. Ich adressierte den Umschlag an mich, zu Händen der Besitzerin einer Bar in der Innenstadt, des Golden Glow, wo ich Stammgast bin, und reichte ihn Alma. »Jetzt müssen Sie zugeben, dass wir tatsächlich eine Bank mit vollem Service sind. Erzählen Sie das allen Ihren Freunden.« Sie lachte fröhlich und legte den Umschlag in den Ausgangskorb.
    »Mach ich, Alma; meine Stimme haben Sie.«
    Ich hatte heute Morgen neben der Damentoilette im Keller eine Telefonzelle gesehen. Ich ging hinunter, um Dorothy Fletcher anzurufen, eine Börsenmaklerin, die ich kenne. »Was kannst du mir über die Obligationen von Diamond Head sagen?«, fragte ich, nachdem wir Nettigkeiten ausgetauscht hatten. »Gar nichts. Soll ich nachschauen und dich zurückrufen?«
    »Ich bin heute schwer zu erreichen. Kann ich dranbleiben, während du nachsiehst?« Sie warnte mich, es könnte lange dauern, war aber einverstanden. Ich musterte schließlich fast eine Viertelstunde lang die Wände. Sylvia Wolfe kam zur Damentoilette herunter, und wir winkten uns zu. Sonst störte nichts die Grabesruhe im Keller. Während die Minuten verstrichen, bereute ich es, dass ich kein Buch dabeihatte. Auch ein Stuhl wäre angenehm gewesen.
    Dorothy kam wieder an den Apparat, als ich die ausgebrannten Glühbirnen im Kronleuchter des Kellers zählte. »Ich hoffe, du hast nicht vor, die zu kaufen, Vic. Sie werden bei neunzehn gehandelt - bei einem Nennwert von hundert. Das klingt vielleicht nach einem Schnäppchen, aber sie haben im April keine Zinsen gezahlt, und niemand hier glaubt, dass sie im Oktober dazu in der Lage sind. Dazu kommt noch, dass sie nicht abgesichert sind.«
    »Verstehe. Danke, Dorothy - ich werde dem Drang widerstehen.«
    Ich legte auf und massierte mir die Waden, die vom langen Stehen wehtaten. Die U. S. Met hatte Mrs. Frizell dazu überredet, ihr Geld in einen Haufen Ramsch zu stecken.
    Vielleicht war es an der Zeit, denen einen Besuch abzustatten.
    Die Bank of Lake View lag direkt gegenüber der Hochbahnstation. Statt nach Hause zum Impala zurückzumarschieren, stieg ich die baufällige Treppe hinauf und fuhr in die Innenstadt. Der Zug war ein altes grünes Modell, mit Fenstern, die weit aufgingen und die Fahrgäste mit heißer Luft überschwemmten. Diese altmodischen Wagen erinnern mich nostalgisch an meine Kindheit, an Fahrten mit Gabriella mit der alten Illinois Central in die Innenstadt, sie in Handschuhen und mit einem Pillboxhütchen mit kleinem Schleier, ich neben dem Fenster auf den Knien, aufgeregt schildernd, woran wir vorbeifuhren. Damals hatten im Gebüsch an den Schienen Fasane und Kaninchen gelebt; einmal hatte ich einen Waschbär gesehen.
    Heute gab es nichts zu sehen außer Tauben und kaputten Flaschen auf den Dächern. Mir fiel nichts Außergewöhnliches auf, abgesehen von einem Mann mit einem Dreitagebart, der neben einem Schornstein lag. Ich hoffte, dass er noch am Leben war. Ich stieg in der Chicago Avenue aus und ging nach Westen zur Hauptverwaltung von U. S. Met. Die Bank war schon immer ein Einzelgänger gewesen, hatte sich gegen den Trend der Finanzwelt von Chicago gestemmt - die Firmenadresse anderthalb Kilometer nördlich vom Loop war ein äußeres Anzeichen dafür. Vor etwa zehn Jahren hatte die Bank jedoch ein modernes Gebäude errichtet, und es konnte, was schimmernde Pracht anlangte, mit der ganzen Architektur im West Loop konkurrieren. Es war nur zehn Stockwerke hoch, verfügte aber trotzdem über die grünen Steinfassaden, die geschwungenen Rauchglasfenster und die Messingintarsien der größeren modernen Hochhäuser im Süden.
    Die Inhaber hatten sehr klug gepokert, als es beim Errichten des neuen Bürogebäudes darum ging, wo die Stadt wachsen würde - oder ihre Direktoren mit

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