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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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hat sich für das Schicksal seiner Mutter ungefähr so interessiert wie ich mich für meine Küchenschaben. Ich nehme an, er war hell begeistert, das Problem auf einen anderen abwälzen zu können.« McDowell schüttelte den Kopf. »Wir haben hier Leute mit allen möglichen Problemen, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Angehörigen einer Patientin je versucht hätten, sie an Fremde abzuschieben ... Mrs. Frizell liegt auf dieser Station, dritte Trennwand von hinten. Sag mir nachher, was du meinst, Steve.«
    Als wir das Schwesternzimmer verließen, erklärte Steve, die Station sei früher offen gewesen, aber vor ein paar Jahren seien Trennwände zwischen die Betten gezogen worden. »Keine großartige Einrichtung - die Wände stehen so eng, dass man die Betten nicht machen kann, und die Patienten haben keine Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen, wenn sie Hilfe brauchen. Aber der Countyrat beschließt, und wir versuchen, das Beste daraus zu machen.«
    Als ich Mrs. Frizell sah, wurde mir kalt im Magen und ganz schwach. Selbst am Montagabend, als sie halbnackt auf dem Badezimmerboden lag, hatte sie wie ein Mensch ausgesehen. Jetzt lag ihr Kopf nach hinten abgewinkelt auf dem Kissen, die Augen blickten leer, der Mund stand offen, und die angespannte Haut über den Knochen war grau. Sie sah wie eine Leiche aus. Nur die ruhelosen, sinnlosen Bewegungen zeigten, dass sie noch am Leben war.
    Ich warf Steve einen ängstlichen Blick zu. Er schüttelte mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf, quetschte sich aber zwischen Bett und Trennwand. Ich trat an die andere Seite des Bettes.
    Ich ging neben dem Bett in die Knie. Mrs. Frizells Blick schien weder mich noch Steve wahrzunehmen. »Mrs. Frizell? Ich bin V. I. - Victoria. Ihre Nachbarin. Wie geht es Ihnen?«
    Die Frage wirkte idiotisch, und ich hatte das Gefühl, meiner Dummheit geschehe es recht, als Mrs. Frizell nicht antwortete. Steve machte ein Zeichen, ich solle weitersprechen, deshalb plagte ich mich weiter ab.
    »Ich habe einen Hund, wissen Sie, den rotgoldenen Retriever. Morgens laufen wir manchmal an Ihrem Haus vorbei, und manchmal sage ich etwas zu Ihnen.« Nicht selten hatte sie mich angefaucht, fügte ich in Gedanken hinzu - vielleicht hatte sie mich nie beachtet. »Und am Montagabend habe ich Sie gefunden. Gemeinsam mit Marjorie Hellstrom.«
    Ich wiederholte den Namen ein paarmal und zwang mich zum Weitersprechen, aber ich brachte es nicht über mich, ihre Hunde zu erwähnen, das Einzige, was sie vielleicht aufmerksam gemacht hätte. Von dem kalten, harten Boden taten mir die Knie weh, und meine Zunge fühlte sich an wie ein pelziger Klöppel in einer Glocke. Ich wollte mich hochhieven, als sie mir plötzlich die verschleierten Augen zuwandte. »Bruce?«, krächzte sie rau. »Bruce?«
    »Ja«, sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln. »Ich kenne Bruce. Er ist ein wunderbarer Hund.«
    »Bruce.« Es sah aus, als wollte sie aufs Bett klopfen, einen nicht vorhandenen Hund auffordern, zu ihr aufs Bett zu springen.
    »Es tut mir leid«, sagte ich. »Hunde dürfen nicht ins Krankenhaus. Werden Sie schnell gesund, dann können Sie nach Hause und bei ihm sein.«
    »Bruce«, sagte sie wieder, aber sie schien etwas mehr Farbe im Gesicht zu haben. Ein paar Sekunden später war sie eingeschlafen.

13
    Sohnesliebe
    Als ich zum Auto zurückkam, stellte ich den Sitz so flach wie möglich und legte mich schlaff darauf. Ich hatte gekotzt, nachdem ich Mrs. Frizell verlassen hatte, ein jäher, spontaner Würgreiz, der mich von der Lüge befreite, die ich hatte erzählen müssen. Nelle McDowell hatte eine Frau mit einem Mopp geschickt, die sich weigerte, mich die Schweinerei wegwischen zu lassen.
    »Keine Sorge, Schätzchen, das ist mein Job. Und es tut gut, dass Ihnen an der armen alten Frau so viel liegt, dass Sie ihretwegen spucken. Holen Sie sich ein Glas Wasser und legen Sie eine Weile die Beine hoch.«
    Ich schämte mich, weil ich vor Steve und Nelle McDowell die Beherrschung verloren hatte, und wimmelte ihre Hilfsangebote ab. »Deine Kinder werden wütend, wenn du sie noch länger warten lässt. Fahr nach Hause - ich bin okay.«
    Und ich war okay, gewissermaßen. Ich hatte die Beherrschung verloren, als ich gestern Abend bei Todd Pichea geklingelt hatte. Warum sollte ich mich darüber aufregen, dass ich sie im Cook County Hospital noch mehr verloren hatte?
    Es war Mittag, als ich mich schließlich zusammenriss und den Motor anließ. Ich war schon auf der

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