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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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South Side; noch ein paar Kilometer weiter nach Süden, und ich hätte die Bars in der Nähe von Mitch Krugers altem Zuhause abklappern können. Mir war bloß heute nicht mehr nach weiteren kaputten Leben.
    Stattdessen bog ich Richtung Lake Michigan ab und fuhr nach Norden, an der Innenstadt vorbei zu den Nobelvororten, wo Privatgrundstücke die Sicht auf den See verdecken. Obwohl der Tag klar war, das Wasser blau und still, war es immer noch viel zu kalt zum Schwimmen. Picknickgruppen sprenkelten das Ufer, aber es gelang mir, ein verlassenes Stück zu finden, wo ich die Kleider ausziehen und in der Unterwäsche ins Wasser gehen konnte. Nach wenigen Augenblicken taten mir die Füße und die Ohren vor Kälte weh, aber ich trieb mich an, bis ich ein Dröhnen im Kopf spürte und die Welt um mich herum schwarz wurde. Ich stolperte ans Ufer und fiel keuchend in den Sand. Als ich aufwachte, stand die Sonne tief am Himmel. Ich hatte wohl den ganzen Nachmittag lang allen vorbeikommenden Voyeuren ein schönes Schauspiel geboten, aber niemand hatte mich belästigt. Ich zog mir die Jeans und die Bluse wieder über und fuhr in die Stadt zurück.
    Die Depression wegen meines Versagens im Fall von Mrs. Frizell führte dazu, dass ich in jener Nacht tief schlief, zu tief, und deshalb wachte ich am Sonntag schwer und unerfrischt auf. Die Luft draußen war ohne Vorwarnung ebenfalls schwer geworden, taugte nicht zum Joggen. Anfang Juni zweiunddreißig Grad und Schwüle? Hieß das, dass der gefürchtete Treibhauseffekt jetzt durchschlug und dass ich mein Hochleistungsauto mit einem Fahrrad vertauschen musste? Ich dachte, dass ich mir nicht an ein und demselben Wochenende Sorgen um Mrs. Frizell, Mitch Kruger und die Umwelt machen konnte. Ich trank eine Tasse Kaffee und fuhr mein Hochleistungsauto zu einem Sportclub, in dem ich manchmal schwimme. Sonntag ist Familientag: Das Becken bestand etwa zu gleichen Teilen aus Chlor und kreischenden Kindern. Ich zog mich eine stumpfsinnige halbe Stunde lang in den Geräteraum zurück. Das Training an den Geräten ist monoton, und Leute in Fitnessstudios scheinen allzu oft den Ausdruck privater Selbstzufriedenheit anzunehmen, den man bekommt, wenn man sich vor dem Spiegel zurechtmacht - herrje, ich bin so schön, meine Muskeln entwickeln sich einfach fantastisch, ich glaube, ich bin im Begriff, mich zu verlieben.
    Ich hielt es so lange wie möglich aus, dann schlenderte ich in die Turnhalle, um zu sehen, ob ich bei einem Basketballspiel einsteigen könne. Ich hatte Glück. Eine Frau ging eben, um ihre Kinder aus dem Schwimmbecken zu holen. Wir konnten den Platz nur noch zwanzig Minuten behalten, aber als die Männer eintrafen, um ihn zu übernehmen, war ich schweißnass, und das Gefühl der Schwere war aus meinem Kopf gewichen. Als ich unter die Dusche wollte, merkte ich, dass ich meine Sporttasche im Geräteraum vergessen hatte. Beim Zurückgehen überraschte mich der Anblick von Chrissie Pichea an dem Streckapparat, den ich vorhin benutzt hatte. Es überraschte mich nicht, dass sie ihre Rückenmuskeln straffte; mich überraschte nur, dass sie es hier tat. Ich hatte mir vorgestellt, sie sei Mitglied in einem schicken Sportclub in Lincoln Park oder am Loop. Sie lief rot an, als sie mich erkannte.
    »Seit Sie und Todd sich um die Hunde von Mrs. Frizell kümmern, habe ich Zeit, meine Brustmuskeln aufzubauen«, sagte ich herzlich und griff zu meiner Tasche.
    Ihr Gesicht verkrampfte sich vor Zorn. »Warum kümmern Sie sich nicht um Ihre eigenen Angelegenheiten!«
    »Da bin ich wie Sie - ich helfe liebend gern den Nachbarn. Oder sind es etwa Ihre eigenen Angelegenheiten, wenn Sie Mrs. Tertz und Mrs. Frizell ins Haus schneien?« Sie ließ die Gewichte so schnell fallen, dass sie beim Aufprall laut schepperten. »Wer hat Sie denn bloß mit dem Klammerbeutel gepudert?«
    Ich lächelte sie an. »Alter, abgedroschener Spruch, Chrissie. Lassen Sie die Gewichte nicht so schnell los - gute Methode, sich einen Muskel zu zerren.« Ich schlenderte leise pfeifend hinaus. Herrje, Vic, du bist so witzig, ich glaube, ich bin im Begriff, mich zu verlieben.
    Als ich wieder zu Hause war, kam ich mir so wach vor, dass ich Mrs. Frizells Sohn in San Francisco anrufen konnte. Er meldete sich nach dem achten Klingeln, als ich schon gemeint hatte, er müsse über das Wochenende verreist sein. Ich erinnerte ihn an meinen Anruf vom vergangenen Montag und erklärte ihm, was den Hunden widerfahren war. »Gestern habe ich Ihre

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