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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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mit der Zunge. Er war damit einverstanden, Mrs. Frizell ausfindig zu machen und mich zu ihr zu bringen, wenn ich mich in einer halben Stunde mit ihm traf - es war sein freier Tag, und er wollte mit seinen Kindern in den Zoo. Ich zog mich hastig an und schlüpfte hinaus, ohne dass Mr. Contreras mich hörte. Ich fühlte mich zu mitgenommen, um ihm zu erzählen, was geschehen war, und seine Vorwürfe wollte ich mir nicht anhören.
    Das Cook County Hospital liegt im Westen der Stadt, gleich neben der Hochbahn in der Lake Street, zwischen einem Veteranenkrankenhaus und dem St. Luke's Hospital der Presbyterianer. Das St. Luke's ist ein riesiges Privatkrankenhaus mit den allermodernsten Einrichtungen und einem ständig wachsenden Bauprogramm, das droht, die ganze Umgebung zu schlucken. Das Prez, wie die Einheimischen es nennen, hat keinerlei Verbindung zum County Hospital, außer dann, wenn den Privatpatienten das Geld ausgeht und sie die Straße entlang gerollt und den Steuerzahlern übergeben werden müssen. Das County ist um die Jahrhundertwende erbaut worden, als öffentliche Gebäude wie babylonische Tempel aussehen sollten. Nach der Errichtung hat es die Öffentlichkeit an weiteren Akten der Großzügigkeit fehlen lassen. Wir stecken weiter Geld in die Gefängnisse und die Gerichte, errichten ständig noch größere Anbauten, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird, aber das Krankenhaus kränkelt. Etwa jedes halbe Jahr schlagen die Zeitungen Alarm, das Krankenhaus werde die Zulassung - und damit das Geld vom Bund - verlieren, weil das Gebäude nicht mehr den Vorschriften entspricht, aber dann geben die Bundesbehörden nach, und der Betrieb geht schlecht und recht weiter. Die Tatsachen, dass die Operationssäle keine Klimaanlage haben und das Gebäude über kein Sprinklersystem verfügt, erscheinen als nichtige Gründe, den Armen eine der wenigen noch vorhandenen medizinischen Betreuungsmöglichkeiten zu nehmen.
    Als ich auf einen der Parkplätze des Privatkrankenhauses einbog, wünschte ich mir, ich wäre bei einem Auto geblieben, das besser zu meinem Einkommen und den Gegenden gepasst hätte, in denen ich mich herumtrieb.
    Ich hatte mich mit Steve im Haupteingang des County Hospital an der Harrison Street verabredet. Es war eine merkwürdige Halle, mit der Statue einer nackten Frau und zwei Kindern. Ich fragte mich, ob die blauen Leuchtröhren an der Decke der Insektenvernichtung dienten. Falls Letzteres der Fall war, standen sie gegen den Dreck auf den Böden und an den Wänden auf verlorenem Posten.
    Leute schlenderten den Flur entlang, aßen Kartoffelchips und tranken Kaffee. Der Wartebereich war so gut wie leer. Nur zwei Betrunkene schliefen auf den Stühlen ihren Rausch aus. Das Krankenhaus ist ein Monstrum, ein riesiges E-förmiges Gebäude mit sieben Stockwerken. Obdachlose, die aus dem Flughafen O'Hare verjagt worden sind, schlüpfen durch die Nebeneingänge hinein und rollen sich auf den endlosen Fluren zusammen, um die Nacht zu verbringen.
    Während ich auf Steve wartete, führten zwei große Polizisten einen Mann in Handschellen und Beinfesseln den Gang entlang. Er war schlank und zittrig, ein bebendes Blatt zwischen zwei Ästen, und er trug einen Chirurgenmundschutz. Der Mundschutz wirkte so unpassend wie die Fesseln an den dünnen Beinen. Vielleicht war er HIV-positiv und hatte die Polizisten angespuckt? Auch die Tuberkulose war im County auf dem Vormarsch.
    Steve kam kurz nach zehn den Gang entlang gerannt, als ich das Intarsienmuster des Bodens so lange angestarrt hatte, bis es sich mir einprägte. Er trug Jeans und Freizeitschuhe. Mit dem strähnigen, blonden Haar, das ihm in die Augen fiel, sah er wie eine Werbung für das Leben an der frischen Luft aus. Ich konnte nicht fassen, dass er so lange für das County gearbeitet hatte, ohne eine weiche Birne zu bekommen, aber er hatte mir einmal gesagt, bei der Arbeit hier komme er sich lebendig vor.
    Er legte mir den Arm um die Schultern und gab mir ein Küsschen auf die Wange. »Tut mir leid, dass ich zu spät komme, Vic. Hab mir gedacht, ich überprüfe erst mal alles, was wir über deinen Fall haben. Wir sind im Augenblick ein halbes Jahr im Rückstand, deshalb habe ich nicht viel erwartet, aber es hat sich herausgestellt, dass es am Donnerstag eine Notdienstanhörung gegeben hat.«
    Ich zog eine Grimasse. »Ja, deshalb bin ich hier. Ich habe einen verfluchten Yuppienachbarn, der es irgendwie geschafft hat, zum Vormund dieser Frau bestellt zu werden,

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