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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Montagmorgen um sieben wieder auf. Gelegentlich sorgt er sogar dafür, dass jemand den Boden der Eingangshalle mit einem Mopp bearbeitet. Ich suchte den breiten Messingschlüssel und kämpfte mit dem steifen Schloss. Bei jedem Sonntagsbesuch gelobe ich mir, beim nächsten Mal eine Dose Graphit mitzubringen, um es zu lockern, aber ich komme sonntags so selten hin, dass ich es immer wieder vergesse. Czarnik hatte den Aufzug abgeschaltet und die Feuertür am Ende der Treppe abgeschlossen. Das macht er nicht, weil ihm die Sicherheit am Herzen liegt, sondern aus bitterer Feindseligkeit allen Mietern gegenüber. Ich hatte mir schon lange Nachschlüssel für den Aufzug und das Treppenhaus beschafft, aber ich nahm die Treppe; der Aufzug war zu unzuverlässig, und ich wollte nicht die nächsten siebzehn Stunden darin festsitzen.
    Oben in meinem Büro versuchte ich, Murray Ryerson vom Herald-Star zu erreichen. Er war weder in der Redaktion noch zu Hause. Ich hinterließ an beiden Orten Nachrichten und zog die Hülle von der alten Olivetti meiner Mutter, der museumsreifen Maschine, die ich für Rechnungen und Korrespondenz benutzte. Sie gehörte zu den wenigen greifbaren Dingen, die ich von ihr geerbt hatte; sie war mir in den sechs Jahren an der Universität von Chicago ein Trost gewesen. Ich könnte es auch jetzt noch nicht ertragen, sie gegen einen Computer einzutauschen, ganz zu schweigen gegen eine elektrische Schreibmaschine. Außerdem bleibt durch das Schreiben auf ihr mein Handgelenk kräftig. Ich dachte gründlich nach, ehe ich tippte.
    »Warum war Todd Pichea von der Kanzlei Crawford, Mead, Wilton und Dunwhittie so erpicht darauf, die juristischen Angelegenheiten von Harriet Frizell zu übernehmen, dass er in aller Eile mit einem Vertreter des Vormundschaftsgerichts an ihrem Krankenbett im Cook County Hospital stand? Warum bestand seine erste Tat als ihr gesetzlicher Vormund darin, ihre Hunde einschläfern zu lassen? Wollte er nur die Hunde aus dem Weg räumen? Oder hat er es außerdem auf ihr Eigentum abgesehen? Unterstützt die Kanzlei Crawford, Mead Picheas Vorgehen? Und falls ja, warum? Das fragt sich die Unterzeichnete.«
    Ich unterschrieb und machte fünf Kopien - mein Zugeständnis an die Moderne ist ein Tischkopierer. Mein Exemplar legte ich in einen Aktendeckel mit der Aufschrift FRIZELL, den ich in meine Klientenakten steckte. Die restlichen vier Exemplare wollte ich persönlich abliefern: drei in Dicks Kanzlei - eins für Dick, eins für Todd, eins für Leigh Wilton, einen der Seniorpartner, den ich kannte. Das Original war an den Chicago Lawyer adressiert.
    Ich fuhr zu dem Neubau in der La Salle Street, in den Crawford, Mead die Kanzlei im letzten Jahr verlegt hatten. Es war eines meiner Lieblingsgebäude im West Loop, mit einer geschwungenen, bernsteinfarbenen Fassade, die bei Sonnenuntergang die Skyline widerspiegelte. Ich hätte nichts gegen ein Büro dort gehabt. Es stand als Zweites auf meiner Einkaufsliste, nach einem neuen Paar Nikes. Der Wachmann in der Halle schaute sich den Schluss des Spiels der Sox an; er winkte mir, mich in die Besucherliste einzutragen, aber es war ihm ziemlich gleichgültig, was ich machte, solange ich ihn nicht bei den letzten Spielzügen störte. Nur ein Aufzug war eingeschaltet, innen hellorange ausgeschlagen, was zu dem bernsteinfarbenen Glas des Gebäudes passte. Er trug mich in den zwölften Stock.
    Crawford, Mead hatten die geschnitzten Holztüren aus ihrer alten Kanzlei mitgebracht. Sobald man diese massiven Türen und die mit grauem Kammgarn überzogene Wand sah, wusste man, dass man dreihundert Dollar pro Stunde für das Privileg zahlten musste, den hier waltenden Hohepriestern schuldbewusst Geheimnisse zuflüstern zu dürfen. Die Türen waren abgeschlossen. Ich war versucht, meine Dietriche herauszuholen und meine Nachrichten auf den Schreibtischen meiner Zielpersonen zu hinterlassen, als ich gedämpfte Stimmen hinter den Türen hörte. Zweifellos hart schuftende junge Mitarbeiter, die außerhalb der Dienstzeit zur Blutzufuhr der Kanzlei beitrugen. Die Tür hatte keinen Briefschlitz. Ich feuchtete die Gummierung der Umschläge an und klebte sie an die Tür, die Namen von Dick, Todd und Leigh Wilton schwarz getippt und rot unterstrichen. Ich kam mir ein bisschen vor wie Martin Luther, der sich in Wittenberg mit dem Papst anlegte.
    Die Redaktion des Chicago Lawyer war zu. Nachdem ich das Original durch den Briefschlitz geworfen hatte, meinte ich, zur Abwechslung

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