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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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schaute ihn an, verblüfft über seine drastische Ausdrucksweise, und sah, dass ihm die Tränen wieder über das ledrige Gesicht liefen. Ich ging neben seinem Stuhl in die Knie und legte ihm den Arm um die Schultern. »Hey, hey, regen Sie sich doch nicht so auf. Ich spreche morgen früh mit Vishnikov und frage ihn, was er meint.«
    Er packte meine Hand mit festem Griff. Sein Kinn bebte, als er versuchte, sein Gesicht unter Kontrolle zu bringen. »Tut mir leid, Engelchen«, sagte er heiser. »Tut mir leid, dass ich zusammenklappe und es an Ihnen auslasse. Ich weiß, dass er eine Pest war, diese ganze Sauferei, aber wenn's nun mal der älteste Freund ist, sieht man über so was hinweg.«
    Er löste seine Hand aus meiner und ließ das Gesicht schluchzend in die Handflächen sinken. »Ich hätte ihn nicht rausschmeißen dürfen. Warum hab ich bloß so ein Theater wegen der Welpen gemacht? Peppy merkt von so was doch gar nichts, ob Leute schnarchen, ist ihr ganz egal. Warum hab ich ihn bloß nicht ein paar Tage hier kampieren lassen?«

18
    Kein Kronjuwel
    Als ich am nächsten Morgen zum Laufen ging, schlüpfte ich zur Hintertür hinaus. Statt der normalen Strecke zum Hafen und zurück lief ich auf Nebenstraßen nach Westen bis zum Fluss. Ich hielt mein Tempo langsam, weniger, um zu überprüfen, ob ich verfolgt wurde, sondern um mich vor Zerrungen auf dem rauen Straßenbelag zu schützen - es ist schwer, vom Auto aus jemanden zu beschatten, der zu Fuß unterwegs ist. Ich glaubte nicht, dass die Überwachung durch Chamfers eine körperliche Gefahr für mich war; ich kann es einfach nicht leiden, wenn man mir nachspioniert.
    Bevor ich zum Duschen hinaufging, machte ich bei Mr. Contreras Station. Er hatte einen Teil seiner normalen Vitalität zurückgewonnen - er hatte eine bessere Farbe und bewegte sich natürlicher als gestern Nacht. Ich sagte ihm, ich wolle zu Diamond Head fahren, und fragte, ob er jemanden kenne, der noch dort arbeite. »Lauter neue Leute seit meiner Zeit, Schätzchen. Vielleicht stehen noch ein paar Kerle am Fließband, die ich wiedererkennen würde, aber die Chefs sind alle neu; der Vorarbeiter und der Vertrauensmann, ich kenn nicht mal ihre Namen. Soll ich mitkommen?«
    Ich grinste über den Eifer in seiner Stimme. »Dieses Mal nicht. Vielleicht später, wenn ich nicht weiterkomme.« Ich plante, mich der Fabrik heimlich zu nähern; ich nahm an, allein hätte ich dabei mehr Glück.
    Noch bessere Erfolgschancen hätte ich außerdem, wenn sich der Verfolger von gestern, wer das auch gewesen sein mochte, nicht an mich hängte. Und das hieß, dass ich ein anderes Auto brauchte. Mein Trans Am ist genau wie Magnums Ferrari so leicht zu entdecken wie das Leinsamenöl, das Sherlock Holmes für Toby verschüttete. Lotty ist der einzige Mensch, den ich so gut kenne, dass ich das Auto mit ihr tauschen kann. Weil ihres immer schon im ersten Monat Dellen hat, überließ ich ihr meinen kleinen Liebling nur ungern. Aber der Klient kommt zuerst, ermahnte ich mich streng. Wozu zahlte ich schließlich zweihundertfünfzig pro Monat an die Versicherung? Während ich mich anzog, rief ich Lotty in der Praxis an und erklärte ihr das Problem. Sie überließ mir den Cressida mit Freuden. »Ich habe seit 1948 keinen Sportwagen mehr gefahren.« »Genau das macht mir Angst«, sagte ich.
    Lotty gab sich verletzt. »Ich bin schon Auto gefahren, als du noch nicht mal geboren warst, Victoria.«
    Ich verkniff mir die naheliegenden Erwiderungen - schließlich tat sie mir einen Gefallen. Ich sagte ihr, wo sie mein Auto fand -Carol würde sie auf der Heimfahrt vor meinem Haus absetzen. Ich gab dem Trans Am einen Abschiedskuss, als ich auf dem Weg zur Belmont Avenue an ihm vorbeikam. »Es ist nur für einen Tag. Sei tapfer und lass dir von ihr nicht das Getriebe ruinieren.«
    Als ich nach mehrmaligem Umsteigen mit dem Bus zur Praxis kam, war ich mir ziemlich sicher, dass ich nicht verfolgt worden war. Trotzdem fuhr ich in Lottys Cressida ein paar Runden durch die Nordseite. Als ich überzeugt davon war, dass die Luft rein sei, fuhr ich zum Kennedy Expressway und bog Richtung Süden ein.
    Zu den unvermeidlichen Dellen in den Kotflügeln kam, dass sich die Gänge schwer einlegen ließen und die Kupplung zu klemmen schien. Ich hoffte, dass ich nicht eilig verschwinden musste. Wenigstens passte das Auto gut nach Pilsen. Diamond Head lag am Ende einer Sackgasse. Ich wollte nicht zum Vordereingang fahren, wo ich leicht bemerkt werden und in

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