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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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letzten Mal gesehen?« Ich schüttelte meinen Nachbarn sanft am Arm und wiederholte ihm die Frage. Das brachte ihn mit einem Ruck in die Gegenwart zurück, und er berichtete stockend von seinem letzten Wochenende mit Mitch, voller Selbstvorwürfe, weil er seinen Freund hinausgeworfen hatte. Finchley stellte ihm ein paar behutsame Fragen und ließ uns gehen. »Renn aber nicht in dieser Sache in der South Side herum, bevor du mit mir gesprochen hast, okay, Vic?«
    »Falls Mitch irgendwelche Drogenschieber gestört haben sollte, gehören sie dir. Ich habe nicht die Mittel, auf solche Typen Jagd zu machen, selbst wenn ich es wollte. Aber irgendetwas sagt mir, dass ein toter alter Mann mit wenigen Angehörigen und ohne Be z iehungen auf dem ersten Revier auch nicht gerade eine Fahndung rund um die Uhr auslösen wird.«
    Finchley ließ die Schultern hängen. »Belehr mich nicht über Polizeiarbeit, Warshawski. Das habe ich nicht nötig.«
    »Ich rede bloß über das wirkliche Leben, Terry. War nicht beleidigend gemeint.« Ich stand auf. »Danke, dass du Mr. Contreras und mir eine kalte Dusche aus dem Gummischlauch im Büro des Sheriffs erspart hast.«
    Finchley ließ sein seltenes Lächeln aufblitzen. »Wir dienen und schützen, das weißt du doch, Vic.«
    Mr. Contreras sagte auf der langsamen Heimfahrt nichts. Ich war erschöpft, so müde, dass ich mich auf der Fahrt nach Norden kaum auf die Ampeln konzentrieren konnte. Wenn uns wieder jemand verfolgen wollte, war er herzlich dazu eingeladen. Der Tag hatte mit Dicks Gekläff begonnen und mit einer verwesten Leiche geendet, und dazwischen hatte der Entspannung halber eine Fahrt nach Schaumburg gelegen. Ich sehnte mich nach einem abgelegenen Bergtal, nach Schnee und dem Gefühl vollkommenen Friedens, aber morgen musste ich aufstehen und wieder kampfbereit sein.
    Ich wartete bei Mr. Contreras, bis es ihm gelang, die Wohnungstür aufzuschließen. »Ich komme mit hinein. Sie brauchen heißen Tee mit einer Menge Milch und Zucker.« Er protestierte halbherzig. »Ich trinke auch eine Tasse mit«, sagte ich. »Keine Nacht für Grappa oder Whisky.«
    Die Zeiger seiner Küchenuhr standen auf Mitternacht. So spät war es noch gar nicht. Bestimmt war es nicht das Alter, was meine Hände zum Zittern brachte, als ich in Schränken und Schubladen nach Tee suchte. Schließlich fand ich unter schmierigen Topflappen eine alte Schachtel Lipton. Sie roch schal, aber Tee wird nie ganz schlecht. Ich nahm zwei Beutel, damit er kräftig wurde. Mit Milch und Zucker war er ein gutes Stärkungsmittel.
    Ich beobachtete Mr. Contreras, während er trank; sein Gesicht war nicht mehr ganz so ausdruckslos, und er wollte reden. Ich hörte zu, wie er Geschichten aus seiner und Mitchs Jugend erzählte, darüber, dass sie einmal einen Frosch in den Klingelbeutel getan hatten, wie sie am selben Tag ihre Lehrverträge unterschrieben hatten - eine Abschweifung über Ted Balbini, der sie gefördert hatte, und wie Mr. Contreras dann eingezogen, Mitch aber ausgemustert worden war.
    »Er hat schon damals zu viel getrunken, aber dass sie ihn nicht genommen haben, lag an den Plattfüßen. Hat ihm das Herz gebrochen. Wollte sich nicht mal von mir verabschieden, als ich nach Fort Hood gefahren bin, der dumme alte Bock. Aber nach dem Krieg kamen wir wieder zusammen. Diamond Head hat mich gleich, als ich nach Hause kam, wieder aufgenommen. Damals gehörte es noch der Familie, da war es noch nicht so wie heute, wo es einen Haufen Bosse gibt, die draußen in den Vororten wohnen und denen es egal ist, ob man lebt oder krepiert.« Er machte eine Pause, um den Tee auszutrinken. »Sie müssen was unternehmen, Engelchen, rauskriegen, wer ihn umgebracht hat.«
    Ich setzte mich erschrocken auf. »Ich glaube nicht, dass es die Polizei für einen Mordfall hält. Sie haben doch gehört, was Finchley gesagt hat. Er war betrunken, ist gestolpert und hingefallen, und jemand hat ihn in den Kanal gerollt. Vielleicht hat irgendein Ganove ihn hineingeworfen.« Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich Pilsen nach drogenschiebenden Teenagern abklapperte, und erschauerte.
    »Verflucht noch mal, nein!«, rief Mr. Contreras. »Wozu hätte er denn dort am Kanal rumlaufen sollen? Das ist doch Quatsch. Da kann man gar nicht rumlaufen - da gibt's nur Anlegestellen für Firmen, Stacheldraht und Müllkippen. Wenn Sie sich mit den Cops zusammentun und ihm Selbstmord oder einen Unfall anhängen wollen, können Sie sich verpissen, und zwar sofort.«
    Ich

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