Eine für alle
trinken wollte, und ich war ziemlich durstig. Ich hätte daran denken sollen, eine Thermosflasche von zu Hause mitzubringen. Noch eine halbe Stunde, dann war Schluss.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkam und das Chaos mit frischeren Augen musterte, war ich versucht, auf der Stelle aufzugeben, aber das quälende Gefühl, ich hätte schon zu viel Zeit investiert, als dass ich mit leeren Händen gehen könnte, trieb mich an. Natürlich ist das der klassische Fehler, der Firmen in den Bankrott treibt: »Wir haben fünf Jahre und fünfzig Milliarden in dieses wertlose Produkt gesteckt, wir können es jetzt nicht aufgeben.« Dieser Durchhaltewillen reißt einen noch tiefer in den Sumpf. Das Zimmer ging nach Westen. Die untergehende Sonne gab viel mehr Licht als die Vierzigwattbirne in der einzigen Lampe, die Mrs. Frizell dort hatte. Ich zog die Vorhänge auf und setzte die Suche fort. Bis jetzt hatte ich nur im Mittelteil und in den verglasten Bücherregalen nachgeschaut. Für den letzten Versuch stemmte ich die drei Schubladen auf. Ich ging in die Hocke und nahm Umschläge heraus. Es muss fast sieben gewesen sein, als ich den Brief von der Bank of Lake View fand.
15. März
Sehr geehrte Mrs. Frizell, Ihren Anweisungen entsprechend haben wir Ihr Sparkonto aufgelöst und den Betrag auf Ihr neues Konto bei der U. S. Metropolitan Bank and Trust überwiesen. Wir haben uns in den vergangenen sechzig Jahren gern um Ihre finanziellen Angelegenheiten gekümmert und bedauern, dass Sie die Beziehung nicht fortzusetzen wünschen. Sollten Sie es sich anders überlegen, zögern Sie bitte nicht, bei uns vorzusprechen. Es wäre uns eine Freude, Ihr Konto neu zu eröffnen, ohne dass Ihnen Kosten entstehen.
Ein leitender Angestellter der Bank hatte den Brief unterschrieben. Die Bank of Lake View ist ein kleines Unternehmen in meiner Gegend - die Leute dort kümmern sich um meine Hypothek mit der Sorgfalt und Aufmerksamkeit, die bei den meisten Banken nur den Großkunden vorbehalten ist. Es wird wohl die einzige Bank in der Stadt sein, die noch kleine Sparkonten führt. Es war typisch für ihren Stil, dass sie Mrs. Frizell einen persönlichen Brief geschrieben hatte.
Seltsam war, dass Mrs. Frizell ihr Geld auf die U. S. Metropolitan transferierte. Ich hatte kein Sparbuch oder andere Unterlagen dieser Bank gefunden. Entweder waren sie in die Juraschicht abgerutscht, oder sie bewahrte sie anderswo auf. Aber das war nur ein Klacks im Vergleich zur eigentlichen Frage: Warum hatte sie ihr Konto auf eine Bank in der Innenstadt verlegt? Und nicht auf irgendeine alte Bank, sondern eine, die alle vierzehn Tage wegen der politischen Verbindungen ihrer Direktoren Schlagzeilen machte. Der Du Page County Board - der Bezirksrat - war die letzte Gruppierung gewesen, die Furore machte, weil sie Bedarfseinlagen auf Konten der U. S. Met deponierte, die keine Zinsen abwarfen.
Ich klammerte mich an Strohhalme, und ich wusste es. Vermutlich hatte die U. S. Met eine Werbekampagne veranstaltet, der Mrs. Frizell nicht hatte widerstehen können. Ich stand auf, mit steifen Gesäßmuskeln, weil ich so lange gesessen hatte. Ich wusste nicht, was ich mit dem Chaos machen sollte, das ich auf dem Fußboden geschaffen hatte. Der Sekretär quoll immer noch über von Papieren - ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich alles wieder hineinstopfen sollte. Andererseits konnte ich sie kaum herumliegen lassen. Obwohl Chrissie vielleicht annehmen würde, das sei Mrs. Hellstroms Werk gewesen; vermutlich wussten die Picheas, dass sie etliche Sachen gewaschen hatte.
Ein Schlüssel, der sich in der Vordertür drehte, löste das Problem für mich. Ich steckte den Brief von der Bank eine Sekunde, ehe Chrissie und Todd hereinstürmten, in die Hosentasche. Sie strahlten vor Gesundheit, Chrissie in einem Strampelanzug aus Matratzendreil, Todd in hellbraunen Shorts und einem Polo-T-Shirt. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie ich aussah - der Geruch aus meinen Achselhöhlen war unangenehm genug.
»Was tun Sie hier, Warshawski?«
»Ich miste den Augiasstall aus, Todd. Sie dürfen mich Herkules nennen. Obwohl ich glaube, dass er Hilfe hatte. In gewisser Weise habe ich ihn überboten.«
»Versuchen Sie nicht, Witze darüber zu machen, denn das ist gar nicht komisch. Als Mrs. Hellstrom uns gesagt hat, dass Sie hier nach Finanzunterlagen suchen, wollte ich schon die Cops rufen. Ich hätte Sie festnehmen lassen können, wissen Sie das? Das hier ist Privateigentum.«
Ich rieb mir den
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