Eine für alle
Entweder ist der Mann in die Stadt gekommen, ohne dass es außer Mitch jemand wusste, oder jemand wollte unbedingt etwas von Mitchs Sachen und hat sich deshalb als sein Sohn ausgegeben. Ich meine, in beiden Fällen hat der Mann gewusst, wo Mitch wohnte. Was heißt, dass Mitch es ihm gesagt haben muss, denn Sie und er - und Jake - waren die Einzigen, die das wussten.« Mr. Contreras zog ein schlaues Gesicht. »Sie wollen, dass ich Jake frage, ob sich jemand bei ihm nach Mitchs n euer Adresse erkundigt hat?«
Ich hob ungeduldig die Schulter. »Glaub schon. Ich hätte gern ein paar Fotos, die ich herumzeigen kann. Wissen Sie, wir wissen nicht, ob Mitchs Sohn in Arizona geblieben ist. Zum Teufel, er muss in meinem Alter sein - älter. Er könnte überall stecken. Erinnern Sie sich an seinen Vornamen?«
»Mitch junior«, sagte Mr. Contreras prompt. »Ich werde mich immer daran erinnern, wie es mich geärgert hat, dass er einen Junior hatte und ich bloß Ruthie. Blöd von mir. Das hat überhaupt nichts zu bedeuten, jetzt weiß ich das, aber damals ... na ja, darüber wollen Sie bestimmt nichts hören.«
Ich wischte mir die Finger an dem feuchten Papierhandtuch ab, das er mir gebracht hatte. Eine Suchaktion nach einem Menschen, der überall sein konnte, überstieg meine Möglichkeiten bei weitem - das hieß, zu den Kraftfahrzeugämtern zu gehen, ans Pentagon zu schreiben, alle möglichen Aktivitäten, für die ich weder Zeit noch Geld hatte. Trotzdem, ein Bild von Mitch junior wäre äußerst hilfreich gewesen. »Wollen Sie ein paar Anzeigen finanzieren, wo Sie Ihr Geld nicht für ein Auto vergeuden? Wir könnten welche in allen Zeitungen in Arizona schalten und auch etliche hier in der Gegend.«
Mr. Contreras rieb sich die Hände. »Wie bei Sherlock Holmes. Gute Idee, Engelchen. Gute Idee. Soll ich mich darum kümmern?«
Ich gab gnädig meine Zustimmung und stand auf. »Ich fahre in die Innenstadt und möchte gern zur Hintertür hinausgehen. Für den Fall, dass die Jungs, die das Auto Ihres Freundes geklaut haben, mit einem anderen Auto vor dem Vordereingang warten. Lassen Sie mich durch die Küche hinaus?«
»In die Innenstadt?« Sein Blick huschte zu meiner linken Achselhöhle. »Was wollen Sie denn in der Innenstadt?«
Ich lächelte. »Ein bisschen Büroarbeit.«
»Dazu brauchen Sie die Pistole? Wollen Sie Löcher in einen Brief schießen und hoffen, dass er per Luftpost abgeht?«
Ich lachte. »Hand aufs Herz, ich bin nicht zu einer gewaltsamen Konfrontation unterwegs. Ich hoffe, ich bekomme keine Menschenseele zu sehen. Aber Sie kennen meine Methoden, Watson: Wenn Leute über mich oder meine Freunde herfallen, laufe ich nicht ungeschützt auf gefährlichen Straßen herum.«
Er war nicht begeistert; er war sich nicht mal sicher, ob er mir glaubte. Aber er machte die Riegel an der Hintertür auf und brachte mich auf die Gasse hinaus. »Ich werde Ihnen so einen Piepser besorgen, wie ihn die Cops tragen, dann können Sie mir ein Signal geben, wenn Sie in Gefahr sind.«
Bei dem Gedanken, rund um die Uhr durch eine Nabelschnur mit dem alten Mann verbunden zu sein, schluckte ich schwer. Ich ging die Gasse entlang, so schnell ich konnte, als wollte ich der Luft entkommen, in der der Vorschlag gehangen hatte.
26
Schlechte Mädchen kommen spät nach Hause
Der South Loop ist nachts eine Geisterstadt. Die Bars schließen abends mit der Stoßzeit. Obwohl am Ostrand das Auditorium und ein Kino stehen und im Süden der Dearborn Park aus dem Boden gestampft worden ist, hat sich nördlich vom Congress Expressway wenig Nachtleben ausgebreitet. Und das meiste davon ist so dubios, dass man lieber einem echten Gespenst begegnen möchte.
Die Adresse von Jonas Carver - dem Mann, der bei Lexus als Vertreter von Diamond Head eingetragen war - war gleich nördlich von der Van Buren Street. Ich parkte den Impala ein gutes Stück weit weg, wartete, bis ein Betrunkener - oder vielleicht Bekiffter -über die Straße gewankt war, und ging zur Eingangstür.
Es war ein altes Gebäude, das oberflächlich renoviert worden war - gerade so viel Farbe, um eine Mieterhöhung zu rechtfertigen, die den Neubauten in Dearborn Park angeglichen war. Zu den kosmetischen Verbesserungen gehörte eine schwere Glastür mit einem Doppelschloss: Um die Tür zu öffnen, musste man beide gleichzeitig aufschließen. Das würde ein guter Test für die Qualität meiner Dietriche werden. Sie hatten mich um siebenhundert Dollar ärmer gemacht, aber angeblich
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