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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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mal«, sagte Anna. »Wenn wir das machen, wie wird das aussehen, falls wir später entdeckt werden?«
    »Warum sollten wir entdeckt werden?«, fragte Gunnar.
    »Weil … weil uns jemand gesehen hat, zum Beispiel«, sagte Katarina. »Zusammen mit dem Mädchen. Man wird nach ihr suchen.«
    »Natürlich wird man nach ihr suchen«, sagte Gunnar. »Aber es gibt niemanden, der weiß, dass sie heute bei uns gewesen ist.«
    »Was?«, rief Anna. »Was sagst du da?«
    Er wiederholte, was er gesagt hatte, langsam und zum Mitschreiben. »Ich sage nur, dass es niemanden gibt, der weiß, dass Troaë heute mit uns auf die Inseln gefahren ist.«
    »Na, da wird es sicher jemanden geben«, widersprach Anna.
    »Und wen?«, fragte Gunnar. »Als ihr ins Boot geklettert seid, da war es am Strand doch menschenleer, oder?«
    »Keine Ahnung«, sagte Anna. »Doch, schon möglich. Aber da in dem Restaurant, da muss man sie auf jeden Fall gesehen haben. Als wir da gegessen haben.«
    »Das ist eine Woche her«, sagte Erik. »Wir brauchen doch gar nicht zu leugnen, dass wir das Mädchen getroffen haben. Wir müssen nur leugnen, dass wir sie heute gesehen haben.«
    »Aber gab es wirklich niemanden, der gesehen hat, wie wir heute Morgen aufgebrochen sind?«, fragte Katarina. »Seid ihr euch da sicher?«
    Ich überlegte. Das taten offensichtlich auch die anderen. Versuchte mich daran zu erinnern, wie es ausgesehen hatte, als wir da am Strand standen und darauf warteten, dass Henrik und Gunnar mit dem Boot kamen. Wie wir ins Wasser hinausgewatet waren. Wie wir an Bord kletterten. Hatte es in der Nähe Menschen gegeben? Ich meinte nicht. Den einen oder anderen Fischer oder vereinzelte Wanderer in weiter Entfernung vielleicht, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, dass es jemanden in unser unmittelbaren Umgebung gegeben hatte.
    »Ich glaube nicht«, sagte Anna. »Ich glaube tatsächlich, dass uns niemand gesehen hat.«
    »Nein«, gab Katarina zu, und jetzt hatte sie plötzlich eine ganz ande re Stimme. Auf gewisse Weise sanft und teilnahmsvoll. »Nein, da war
    niemand so nah, dass er das Mädchen hätte bemerken können.«
    »Also«, sagte Erik. »Da seht ihr.«
    »Und das Paar?«, fiel Anna ein. »Das eine Weile auf der Insel war.«
    »Solange die an Land waren, hat das Mädchen im Sand gelegen und gelesen«, sagte Gunnar. »Da bin ich mir ganz sicher. Die waren mindestens hundertfünfzig Meter entfernt. Die haben nur ein paar friedliche Schweden in Urlaubsstimmung gesehen. Die haben uns niemals zählen können, und außerdem sind sie nicht länger als eine Stunde dort gewesen.«
    Erik räusperte sich. »Es gibt keine Zeugen«, fasste er zusammen. »Wir sind heute draußen auf Les Glénan gewesen. Die ganze Zeit zu sechst. Vor ein paar Tagen haben wir ein Mädchen kennengelernt, das behauptete, sie heiße Troaë oder so ähnlich. Seitdem haben wir nichts mehr von ihr gesehen oder gehört.«
    Katarina machte einen Anlauf, etwas zu sagen, hielt aber dann inne. Erneut breitete sich Schweigen aus. Ich spürte, wie Henrik an meiner rechten Seite erschauerte. Meine Kopfschmerzen hämmerten gegen die Stirnknochen, und das Boot schaukelte ungewöhnlich stark. In der letzten halben Stunde, seit wir das Mädchen aus dem Wasser gezogen hatten, war es eher die Frage von ruhigem Schaukeln gewesen, aber jetzt rief sich das Meer für einen kurzen Moment erneut in Erinnerung.
    »Erik hat Recht«, sagte Gunnar schließlich. »Es gibt keine Zeugen. Was meint ihr?«
    Ich hatte mich bislang bedeckt gehalten, und das tat ich weiterhin. Der Gedanke daran, was möglicherweise während des Spaziergangs um die Insel, den Erik mit dem Mädchen unternommen hatte, passiert sein mochte, tauchte in meinem Kopf auf, aber ich sagte nichts. Stellte nur fest, dass sich das sehr gut auf Eriks unerwartet aktive Rolle in der Diskussion reimte. Eine Zwölfjährige, die verstorben und vor kurzem entjungfert worden war, das war natürlich nichts, was der Polizei gefallen hätte. Ich überlegte, ob es einfach eine Abstimmung geben würde, aber bald war klar, dass das wohl kaum notwendig war.
    »Einverstanden«, sagte Henrik. »In dieser Situation zur Polizei zu rennen, das wäre eine gnadenlose Dummheit.«
    »All right«, sagte Gunnar. »Was sagen die Damen?«
    Das war eine demokratische Einladung an die beiden Frauen, ihre Meinung zu äußern. Ich fragte mich, ob es ein bewusster Schachzug war, mich bis zum Schluss aufzusparen, oder ob es sich einfach zufällig so ergeben hatte. Anna

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