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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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gesagt.«
    »In Ordnung«, seufzte Barbarotti. »Möchtest du noch ein Bier?«
    Eva Backman schüttelte den Kopf. »Ich habe mir gedacht, dass ich noch eine Runde laufen gehe, und zwei Bier im Körper sind ein bisschen viel.«
    Barbarotti nickte und klopfte mit dem Fingerknöchel auf die Ordner. »Dann hau ab«, sagte er. »Ich werde den Abend damit verbringen, das Material durchzugehen. Du wirst meine Meinung morgen früh hören, wenn du vorbeikommst.«
    Inspektorin Backman stand auf, und in dem Moment wurde unten im Nachbarhof das nächste Trinklied angestimmt. »Ja, ja«, sagte sie und warf einen Blick über die Balustrade. »Irgendwann werden du und ich auch mal zu einer Feier eingeladen, du wirst es sehen.«
    »Hoffen darf man ja«, sagte Gunnar Barbarotti. »Übrigens, was ist aus deinem Urlaub geworden?«
    »Bis auf Weiteres aufgeschoben«, erklärte Inspektorin Backman. »Was dachtest du denn?«
    Ungefähr drei Stunden und ein Dutzend Trinklieder später hatte er alle drei Ordner durchgelesen. Die Dunkelheit war hereingebrochen, und ein gelb- und blutmarmorierter Augustmond war über das unebene Kupferdach der Katedralskolan gesegelt. Alle Krähen waren verstummt, alle, bis auf die Schnapsdrosseln im Nachbarhof. Er saß immer noch auf dem Balkon, eine gewisse Abendkühle war herangekrochen, aber ein Wollpullover und eine Decke über den Beinen hielten ihn bei der Stange.
    Es war ein merkwürdiger Fall. Das hatte er eigentlich bereits gewusst, als er sich an die Ermittlungsunterlagen setzte, aber er musste es einfach noch einmal konstatieren, als er sie durchgearbeitet hatte. Einer der merkwürdigsten, die er je erlebt hatte.
    Und erschreckend. Besonders, wenn man versuchte, sich den Täter vorzustellen. Sich von so einem Menschen ein Bild zu machen.
    Wenn Henrik und Katarina Malmgren tatsächlich ebenfalls ermordet worden waren, dann hatte er vier Leben auf dem Gewissen. Allein das, die Anzahl der Opfer, ließen ihn ziemlich einzigartig dastehen. Es gab nicht viele Mörder im Land mit vier Leichen im Gepäck, das wusste Barbarotti. Die meisten, die ihre Strafe in Hall oder Österåker oder Kumla verbüßten, hatten nur ein Opfer zu vermelden, einige wenige zwei oder drei. Wenn man vier Menschen das Leben genommen hatte, dann spielte man zweifellos in der höchsten Liga.
    Oder in der niedrigsten, je nachdem, welchen Maßstab man anlegen wollte.
    Und dass er in allen vier Fällen Briefe geschrieben und der Polizei Tipps gegeben hatte, das machte ihn sicher auch im internationalen Vergleich ziemlich ungewöhnlich, wie Barbarotti annahm. Lillieskog hatte behauptet, er kenne keinen ähnlichen Fall – und deshalb war er ja auch so unsicher, was das Profiling betraf. Jedes Profiling baut auf Erfahrungen auf, und wenn es keine Erfahrungen gab, ja, dann stand man natürlich auf schwankendem Boden. So war das mit der Präzision.
    In den Papieren befand sich auch die Äußerung eines bekannten Kriminologen, der behauptete, man ›habe es möglicherweise ausnahmsweise einmal mit einem Mörder zu tun, der ein wenig Grips im Schädel hat, und deshalb fühle sich die Polizei momentan an der Nase herumgeführt‹ – und Barbarotti war sehr geneigt, dieser grob zurechtgeschusterten Hypothese zuzustimmen.
    Ein schlauer Teufel war das ganz einfach. Vielleicht bisher nicht vorbestraft. Vielleicht von eisenharter Entschlossenheit, seinen Plan durchzuführen und sich nicht schnappen zu lassen. Genau wie Lillieskog behauptet hatte.
    Kein Zufallsmord. Kein Serienmörder, trotz der hohen Anzahl an Opfern. Wenn er die getötet hätte, die er töten wollte, dann würde es vorbei sein. Die Frage war nur, wie viele auf seiner Liste standen. Und an erster Stelle: Welcher Zusammenhang bestand zwischen den Personen auf dieser Liste?
    Es gab natürlich noch weitere Fragen. Würde es gelingen, ihn zu stoppen, bevor er fertig war, beispielsweise. Bevor es ihm gelang, alle zu ermorden, die er ermorden wollte? Würden sie ihn überhaupt stoppen können?
    Und Hans Andersson? Was bedeutete es – um die eigenen Worte des Mörders anzuwenden: ›Hans Andersson darf leben‹? Hatte es jemals ein Opfer mit diesem Namen gegeben oder war es nur ein Bluff? Ein Rauchschleier, der aus irgendeinem Grund mitten in der Schlacht notwendig gewesen war?
    Und waren Henrik und Katarina Malmgren tatsächlich tot? In einem Ordner hatte es Fotos von den beiden gegeben: ein Mann mit hagerem Gesicht und schütterem Haar, Brille und einem Aussehen, für das

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