Eine ganz andere Geschichte
Raum, einem alten, knarrenden Eisenbett mit Rosshaarmatratze, und es war … er selbst war es, hinter dem der Kommissar her war. Als er den Atem anhielt, die Ohren spitzte und lauschte, konnte er das charakteristische Klicken von Asunanders Gebiss hören, er war jetzt ganz in der Nähe, und Barbarotti wusste auch, dass der Grund, weswegen er sich hier unter dem Bett versteckte, in einem großen Versäumnis seinerseits bestand, er war ganz einfach seinen Aufgaben nicht gerecht geworden, und jetzt war die Zeit der Abrechnung, des Jüngsten Gerichts, gekommen. Verdammte Scheiße, dachte Gunnar Barbarotti, kann der Kerl nicht einen Herzinfarkt kriegen und soll er doch in der Hölle … doch dann änderte er seine Taktik und sprach stattdessen ein Existenzüberprüfungsgebet zu dem anderen Machthaber.
Das tat er häufiger, aber meistens in wachem Zustand. Er hatte einen sogenannten Deal mit dem Lieben Gott laufen, demzufolge Gottvater seine Existenz zu beweisen hatte, indem er zumindest eine angemessene Zahl von Gebeten, die sein geringer Diener, der Kriminal inspektor Barbarotti, an ihn hinauf schickte, gnädig annahm. Wenn Barbarottis Gebet erhört worden war, gab es Punkte für den Lieben Gott; wenn dem nicht so war, gab es Punktabzüge. Momentan, gerade in diesem Traum, in diesem Moment unter einer Eiche bei einem gotländischen Friedhof im Juli 2007, hatte Gott seine Existenz mit elf Punkten gesichert, und deshalb bekam er jetzt eilig ein Zwei-Punkte-Angebot, dafür zu sorgen, dass der Kommissar um Himmels willen nicht den zitternden Inspektor unter dem Bett entdeckte – oder unter der Eiche oder in welcher Wirklichkeit sich das Ganze nun gerade abspielte.
Guter Gott, es war doch nur ein kleiner Brief, und ich habe nun einmal Urlaub, formulierte er eilig. Es kann doch trotz allem nicht so ernst sein …
»Ich kannte sogar mal einen Jungen, der Erik Bergman hieß. Ist mir
gerade eingefallen.«
»Was?«
Er erwachte. Schlug die Augen auf und starrte verwundert – und erleichtert – hinauf in das grün schimmernde Laub. Hier gab es keinen Kommissar Asunander. Nur eine Hebamme Marianne, deren Kopf auf seiner Brust lag. Und eine Eiche, wie gesagt, was unbedingt eine Verbesserung war. Wie lange hatte er geschlafen? Zehn Minuten? Oder nur eine? Hatte sie überhaupt gemerkt, dass er geschlafen hatte? Dem schien nicht so, sie sprach immer noch von dem Brief, nein, vielleicht hatte er sich nur eingebildet, dass er geträumt hatte?
»Ich habe gesagt, dass ich einmal einen Jungen gekannt habe, der Erik Bergman hieß. Stell dir vor, wenn er es nun ist, der sterben soll?«
Gunnar Barbarotti räusperte sich den Schlaf aus der Kehle und streckte die Arme über den Kopf.
»Natürlich ist er es nicht. War das dein Freund?«
»Nein, wir sind nur im Gymnasium in dieselbe Klasse gegangen. Aber er wohnt bestimmt nicht mehr in Kymlinge. Und das war wohl eine Bedingung … dass der, der sein Leben verlieren soll, in Kymlinge wohnt?«
»Mein Gott, Marianne, woher soll ich das denn wissen? Und es soll sowieso niemand sein Leben verlieren. Jetzt denken wir nicht weiter dran.«
Sie sagte nichts.
»Es handelt sich doch nur um einen Verrückten. Ich werde morgen nach Visby fahren und meine Pflicht tun, jetzt habe ich erst einmal das Gefühl, dass mein Hintern ganz heiß auf einen Fahrradsattel ist. Wie ist es mit deinem?«
»Dem ist es nie besser gegangen. Willst du mal fühlen?«
Er warf einen schnellen Blick auf den Friedhof, dann tat er, wie ihm geheißen. Und es war genau, wie sie gesagt hatte, er schien in Topform zu sein. In phänomenal guter Form, wenn man genau sein wollte, fast hätte er sich verirrt.
»Na, na«, sagte sie und schob sanft seine Hand fort. »Dann lass uns mal nach Hause strampeln und Abendbrot machen.«
Es gab fünf Personen in Kymlinge, die Erik Bergman hießen.
Das ging aus der Liste hervor, die Gunnar Barbarotti am Donnerstagvormittag im Polizeirevier von Visby ausgehändigt bekam. Der Älteste war siebenundsiebzig Jahre alt, der Jüngste dreieinhalb.
Ein üblicher Name in allen Generationen also. Während Gunnar Barbarotti auf einer Bank am Söderport saß und darauf wartete, dass Marianne mit den Gemüseeinkäufen fertig würde, betrachtete er die möglichen Mordopfer.
Der Siebenundsiebzigjährige war Witwer und lebte im Linderödsvägen 6. Er hatte sein gesamtes Berufsleben bei der Eisenbahn verbracht und war seit vierzig Jahren unter der gleichen Adresse gemeldet. Es gab keine Eintragungen
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