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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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gelaufen?«, fragte sie.
    »Ausgezeichnet«, antwortete er. »Die Verantwortung ist delegiert, jetzt gehöre ich ganz dir.«
    »Tss«, sagte Marianne. »Willst du beide Tüten tragen oder nur eine?«
    »Natürlich beide«, antwortete Gunnar Barbarotti. »Für wen hältst du mich?«

    4
    L iest du die Bibel?«
    »Hallo. Ich dachte, du schläfst.«
    »Habe ich auch. Aber als ich gemerkt habe, dass das Bett neben mir leer ist, bin ich aufgewacht.«
    »Ach so. Ja, ich lese ab und zu mal ein wenig drin.«
    Sie schlug die weinrote Bibel zu und legte sie neben die Teetasse auf den Tisch. Lehnte sich im Liegestuhl zurück und schaute ihn blinzelnd an. Es war Dienstag, es war der Morgen des achten Tages – wenn man den Dienstag der letzten Woche mitrechnen wollte, obwohl sie sich ja erst am Abend getroffen hatten. Aber das war eine akademische Marginalie. Die Zeit in Gustabo zu messen erscheint nicht besonders wichtig, dachte Gunnar Barbarotti gähnend, zumindest nicht die, die vergangen ist.
    Auf jeden Fall war es morgens. Der Himmel war nach einem nächtlichen Regen- und Gewitterdurchzug, den sie vom Wohnzimmerfenster aus bewundert hatten, wieder aufgerissen. Er hatte von kurz nach Mitternacht bis Viertel nach eins gedauert, eine gute Stunde, und die Blitze über dem Rapsfeld waren phantastisch gewesen.
    »Dann meinst du … ich meine, dann glaubst du, dass es einen Gott gibt?«
    Sie nickte.
    »Das hast du noch nie zur Sprache gebracht.«
    Sie lachte. Etwas geniert, wie ihm schien.
    »Ich betrachte mich sogar als gläubig«, sagte sie. »Aber ich trage das nicht so gern zu Markte.«
    »Warum nicht?«
    »Weil … weil die Leute dann oft so anstrengend werden. Und ich gehe nie in die Kirche. Die Kirche kann ich nicht recht leiden … ich meine natürlich nicht das Gebäude selbst, ich meine die organisierten Leute. Für mich ist das eine Privatsache, wenn du verstehst. Eine Beziehung.«
    Er setzte sich in den Liegestuhl ihr gegenüber.
    »Ich verstehe. Und ich finde es nicht besonders anstrengend.«
    »Bist du dir wirklich sicher?«
    Er dachte nach.
    »Ja, bin ich.«
    »Aber du glaubst bestimmt nicht an Gott?«
    »Sag das nicht.«
    Einen Augenblick lag es ihm auf der Zunge, wollte er erzählen, wie es genau um sein Verhältnis zu Gott stand, aber er beschloss, es lieber für sich zu behalten. Sie kannten einander jetzt fast ein Jahr – er und Marianne, mit dem Herrgott verband ihn eine etwas längere gemeinsame Vergangenheit –, aber die Zeit schien noch nicht reif für diese Art von Beichte. Er war sich ziemlich sicher, dass Gott genauso dachte. Sie hatten eine Art … ja, eine Art gentlemen's agreement, ganz einfach. Privatsache, wie schon gesagt.
    »Was bedeutet das?«
    »Was?«
    »Du hast gesagt: ›Sag das nicht.‹ Was hast du damit gemeint?«
    »Einfach, dass ich es nicht weiß. Aber ich überlege es mir ab und zu.«
    Sie nahm die Sonnenbrille ab und betrachtete ihn mit leicht besorgter Miene.
    »Du überlegst es ab und zu?«
    »Hm, ja, das ist vielleicht nicht richtig ausgedrückt … ach, ist ja auch egal. Aber wie ist es mit deinem Glauben? Besteht er schon von Kindesbeinen an?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »O nein. Ich wäre vermutlich zu Hause rausgeworfen worden, wenn ich mit solch einer Frömmelei angekommen wäre. Sie waren eine Art Marxisten, meine Eltern, bis in die Achtziger hinein. Meine Mutter ist ja tot, aber ich wette mit dem Teufel, dass mein Vater immer die Sozialisten wählt. Besonders seit die Schyman aufgehört hat, über sie hat er jedes Mal wie ein Bierkutscher geschimpft, wenn ich ihn getroffen habe.«
    »Dein Glauben?«, erinnerte Barbarotti sie.
    »Ja, der hat sich sozusagen bei mir eingeschlichen. Es gibt ein altes persisches Gedicht, in dem steht: ›Der sieghafte Gott geht langsam in weichen Sandalen aus Eselshaut‹, das stimmt ziemlich gut mit meinem Bild von ihm überein.«
    »Weiche Sandalen aus Eselshaut …?«, wiederholte Barbarotti.
    »Ja, und außerdem hat es natürlich mit meiner Arbeit zu tun … da schadet es nicht, wenn man etwas geerdet ist. Es ist einfach eine Geschichte zwischen ihm und mir, weißt du. Das ganze äußere Brimborium interessiert mich nicht, manchmal glaube ich …«
    »Ja?«
    »Manchmal glaube ich, dass der Teufel die Religion erfunden hat, damit sie zwischen Mensch und Gott steht.«
    »Bist du selbst auf diesen Gedanken gekommen?«
    »Nein, das habe ich bestimmt irgendwo gelesen. Aber das macht doch keinen Unterschied, oder?«
    »Nein. Und der Koran,

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