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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Hand durch die heruntergekurbelten Seitenfenster.
    »Fahrt vorsichtig«, sage ich. Schwinge mir den Rucksack auf eine Schulter und gehe ins Café.
    Ich schaue mich nicht um.
    Ich sitze an einem Fenstertisch und schreibe. Nähere mich der letzten Klammer in meinen Mousterlin-Aufzeichnungen. Ich habe ein Galette mit Ei und Schinken gegessen, jetzt steht eine große Tasse schwarzer Kaffee vor mir, ich bin fast allein in diesem verlassenen Lokal, nur ein paar Fernfahrer hocken über ihrem mächtigen Frühstück, jeder an einem Fenster. Vielleicht kann ich sie fragen, ob sie mich mitnehmen – irgendeinen von ihnen –, aber erst will ich noch eine Weile hier sitzen.
    Diese Schlusssätze zu Ende formulieren, vielleicht auch eine notdürftige Morgentoilette erledigen. Es ist immer noch erst ein paar Minuten nach sieben, und ich fühle mich alles andere als bereit für einen neuen Tag.
    Eine Weile habe ich über die Tatsache nachgedacht, dass sie wahrscheinlich gar nicht wissen, wie ich heiße, diese Schweden in der Diaspora in Mousterlin. In den zwölf Tagen, die vergangen sind, habe ich nie mehr als meinen Vornamen genannt. Was vielleicht unter diesen Umständen etwas bedeuten kann.
    Irgendwie trage ich das Mädchen in mir. Die Großmutter auch, aber sie erscheint mir nicht so nahe. Ich weiß, dass ich während der kurzen Momente, die ich im Auto schlafen konnte, von Troaë geträumt habe. Von ihrer lebhaften Unschuld und ihrer Intensität am ersten Tag am Strand und im Le Grand Large. Von ihrer Hilflosigkeit in den Wellen. Ihrer noch größeren Hilflosigkeit, als die Erde sich um ihren Körper schloss.
    Ich bin mir nicht sicher, dass ich sie jemals loswerde. Sie ist bereits dabei, sich in mich zu verbeißen, und wenn es etwas gibt, was mich in Hinblick auf meine Zukunft beunruhigt, dann ist es das. Könnte ich vor einem utopischen Gericht ein Urteil fällen, dann würde ich sie leben lassen, ihr Leben gegen das von fünf anderen eintauschen. Die Großmutter übrigens auch. Ohne eine Sekunde zu zweifeln, würde ich das tun; ich bedaure fast, dass Doktor L mir nicht am Tisch gegenübersitzt, es wäre zweifellos interessant, seine Argumente zu so einer Abwägung zu hören.
    Aber ich schließe das jetzt hier ab. Mit oben bereits erwähnter Unruhe. Die Aufzeichnungen bekommen ihren alten Platz ganz unten in meinem Rucksack. Heute im Laufe des Tages oder morgen werde ich ein neues Heft kaufen, um darin zu schreiben.
    Ich trinke meinen Kaffee aus. Beschließe, die Morgentoilette zu überspringen, werfe mir den Rucksack über die Schulter und gehe auf den Parkplatz hinaus. Die Sonne scheint, es wird ein heißer Tag werden.
    Ich muss weiter. In den Süden.

Kommentar, August 2007
    So, jetzt ist es erledigt. Ich hatte einen Plan, ich bin ihm gefolgt, es hat geklappt.
    Alle fünf sind tot. Ich weiß nicht, ob man Gunnar schon gefunden hat, und ich werde es vielleicht auch nie erfahren. Das Einzige, was mich ein wenig irritiert, ist die Tatsache, dass Katarina Malmgren an die Oberfläche gekommen ist. Das war nicht so geplant, ich hatte Gewichte an beiden Körpern befestigt, aber irgendwie müssen die Knoten bei ihr aufgegangen sein. Ich wollte beide auf dem Grunde des Meeres liegen haben, dort hätten sie über Troaës Kampf mit den Wellen, bevor sie ertrank, reflektieren können. Die beiden, die nie das Boot verlassen und versucht haben, sie zu retten. Das tat Erik auch nicht, aber Erik saß in der Plicht, und ich war gezwungen, ihn als Ersten zu töten. Den Schraubenschlüssel habe ich bereits erwähnt, der ruht jetzt stilgerecht auf dem Meeresgrund, ich hätte ihn am liebsten auch bei Gunnar benutzt, aber da funktionierte es nicht. Mit Gunnar musste ich reden, bevor ich ihn auf die andere Seite beförderte, und dazu war eine Schusswaffe nötig.
    Das wurde übrigens ein interessantes Gespräch. Besonders befriedigend war es, ihn auf dem Boden herumkriechen zu sehen, wie er um sein Leben flehte. Jegliche Größe fiel wie eine alte, aufgebrauchte Haut von ihm ab, es war genau, wie ich es mir erhofft hatte. Er hatte sich bereits eingenässt, als ich ihn erschoss.
    Ich träume nicht mehr von der Großmutter. Seit einiger Zeit träume ich stattdessen wieder von dem Mädchen, aber jetzt sind die Träume heller. Meistens sehe ich sie am Strand stehen und uns malen, mit einem konzentrierten Lächeln auf dem Gesicht.
    Aber das Bild, das sie malt, das sehe ich nie. Ich habe es auch nie gesehen, und die Menschen, die es darstellt, die gibt

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