Eine ganz andere Geschichte
Barbarotti.
Nach dem Gespräch mit Tallin fühlte er sich nicht in Form, mit Sara oder Marianne zu sprechen. Stattdessen legte er eine Fadoscheibe auf, kochte sich eine Tasse Tee und las die Mousterlin-Aufzeichnungen zum dritten Mal. Nicht schlecht, so gut vorbereitet wie möglich zu sein, dachte er. Wenn man nun schon in den Fußspuren des Mörders stapfen soll.
Er las sie auch dieses Mal bis zum Ende durch, und es war schon nach zwölf Uhr, als er ins Bett kroch. Als er die Lampe ausschaltete, fiel ihm ein, dass er nichts von Lars und Martin gehört hatte.
Diese einfache Tatsache hielt ihn noch einmal mindestens eine Stunde lang wach.
34
A m Flughafen entdeckte er die ersten Schlagzeilen, und sie stimmten ziemlich gut mit dem überein, was er sich vorgestellt hatte.
Aber keine lautete ›Der Mörder‹. Man versuchte es stattdessen mit ›Gesucht‹, ›Fahndung nach‹ und ›Wer bist du?‹ Immerhin etwas, dachte Barbarotti. Vielleicht ist es ja Jonnerblad und Tallin gelungen, trotz allem ein wenig Balsam der Besinnung während der gestrigen Pressekonferenz zu verstreichen.
Oder sie haben ganz einfach gelogen.
»Schön, ausgerechnet heute von hier fortzukommen«, kommentierte Tallin. »Sieh mal, da haben wir unsere Französin.«
Carina Morelius sah nicht aus wie eine Französin. Barbarotti hatte sich unbewusst eine schmächtige, aber zackige kleine Frau mit kurz geschnittenem schwarzem Haar und seelenvollen Augen vorgestellt. Inspektorin Morelius erinnerte eher an eine norwegische Skilaufmeisterin. Oder zumindest an eine ehemalige norwegische Skilaufmeisterin. Sie war wohl so um die vierzig, groß, blond und kräftig.
»Schön, dass du dir Zeit nehmen konntest«, sagte Tallin, nachdem die Vorstellungsrunde beendet war. »Es heißt zwar, dass unser Commissaire da unten Englisch spricht, aber man kann ja nie wissen.«
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits«, sagte Carina Morelius, »und eigentlich sage ich nie nein zu einer Reise nach Frankreich. Du bist also der berühmte Barbarotti?«
Es gelang ihr, das ganz ohne Ironie oder Untertöne zu sagen, und er nahm es ohne Gegenwehr an. »Oui«, sagte er. »Derjenige, der kurzen Prozess mit naseweisen Reportern macht und der Polizeigewalt ein Gesicht gegeben hat.«
Sie lachte. »Es gibt da ja wohl solche und solche. Sowohl, was die Polizei als auch was die Journalisten betrifft.« Dann wurde sie ernst. »Aber das ist ja eine schreckliche Geschichte, das hier. Ich habe natürlich alles nur aus dem Fernsehen und den Zeitungen, doch ich nehme an, dass ihr mich auf dem Weg nach Frankreich informieren werdet.«
»Da kannst du sicher sein«, versicherte Tallin und schaute auf die Uhr. »Es dauert sechs Stunden, bis wir in Quimper landen, und du wirst die Zeit brauchen. Wir haben unter anderem Studienmaterial von vierundsechzig dicht gedruckten Seiten.«
»Da freue ich mich drauf«, sagte Inspektorin Morelius, und auch dieses Mal konnte Barbarotti keinen Hauch von Ironie heraushören.
Auf dem Flugplatz von Quimper regnete es.
Sie wurden von einer jungen uniformierten Frau mit einem Schild empfangen, auf dem Talain stand, und Inspektorin Morelius begann sofort, mit ihr auf Französisch zu parlieren, das fast wie eingeboren klang. Zumindest soweit Barbarotti es beurteilen konnte. Aber schließlich hatte sie auch fünfeinhalb Jahre in Lyon gelebt, war mit einem französischen Profiradrennfahrer verheiratet gewesen, hatte ihn aber für einen Masseur aus Partille verlassen. Darüber und über einiges mehr hatte sie auf dem Flug zwischen Göteborg und Paris berichtet, sie hatten Plätze nebeneinander gehabt – von Charles de Gaulle nach Quimper war es dann voll gewesen, die Plätze nicht nummeriert, und folglich waren sie im ganzen Flugzeug verstreut gewesen.
Aber der größte Teil der Flugzeit war für Information und Beratung genutzt worden, genau wie Kommissar Tallin es vorausgesehen hatte.
Der nutzte übrigens jede Gelegenheit, die eine oder andere Phrase der jungen Polizistin gegenüber einzuwerfen, während sie die drei zur Stadt brachte, er hatte ja schon gesagt, dass er die Sprache ein wenig beherrschte. Was Barbarotti betraf, so saß dieser während der ganzen Fahrt da und starrte durch das Seitenfenster hinten auf den Regen hin aus. Was tue ich hier?, fragte er sich. Worüber reden die? Ich werde die nächsten drei Tage der dumme Vetter vom Lande sein.
Aber Commissaire Leblanc sprach tatsächlich Englisch. Zwar mit deutlich französischem Akzent, aber
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