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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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eine Frau um die fünfundvierzig. Sie und Lillieskog arbeiteten seit vielen Jahren gut zusammen, wie sie erklärte, sie zweifelte jedoch, dass einer von ihnen in diesem Fall groß helfen könnte.
    Aber sie hatte sich eingelesen, besonders in die Mousterlin-Aufzeichnungen, und war trotz allem bereit, eine vorsichtige Analyse des Mannes zu geben, nach dem sie auf der Jagd waren.
    Gefühlsmäßig gestört, das war das Erste, worauf sie hinweisen wollte. Seine Art, sich über die Menschen auszulassen, die er später ermordete, deutete darauf hin. Auch die Kommentare von heute zeugten von einer Person, die sich nur schwer in die Gefühle anderer hineinversetzen kann. Und der Mord an der Großmutter des Mädchens zeigte schließlich eine ausgeprägte Gefühlskälte. Er drückte überhaupt keine Scham oder Reue über die Tat aus, sah sie nur als ›eine logische Konsequenz‹, zitierte Klasson.
    »Aber für das Mädchen zeigt er Gefühle«, bemerkte Backman.
    »Richtig«, sagte Klasson. »Sogar außerordentlich starke Gefühle, aber es ist auch interessant, wie er darüber spricht. Er sagt, sie ›beiße sich fest in ihm‹, wenn ich mich richtig erinnere. Das ist ein Prozess, den er nicht zu verstehen scheint, es liegt außerhalb seiner Kontrolle, in der gleichen Weise, wie alle Gefühle ihm fremd sind. Er hat keinen rechten Kontakt zu ihnen.«
    »Es sind ja auch die Gefühle für das Mädchen, die alles auslösen«, soufflierte Lillieskog. »Letztendlich. Wir können vielleicht sagen, dass sein Gefühlsleben aus dem Gleichgewicht geraten ist?«
    »Eine ziemlich übliche Störung«, fuhr Klasson fort. »Überreaktio nen und Unterreaktionen. Aber ich möchte noch einmal betonen, dass wir in diesem Fall überhaupt nur sehr wenig zur Verfügung haben. Die Berichte, die er hinterlässt, sind ja unglaublich gut geschrieben, man hat fast den Eindruck, er könnte eine Dichterader in sich haben. Wobei natürlich wiederum zu bedenken ist, dass er uns ein Bild von sich selbst gibt, wie er es gern hätte. Auch wenn er alles andere als ein Schönfärber ist. Ich glaube trotz allem, dass er eine Art ehrlichen Aufsatz schreibt. Er will diese Geschichte erzählen und erklären, warum er – in seinen eigenen Augen – gezwungen war, diese fünf Menschen zu töten.«
    »Warum ist er bei ihnen geblieben, wenn er sie so verachtet hat?«, fragte Sorgsen. »Das ist eine Frage, die ich mir immer wieder stelle.«
    »Ja, das stimmt«, sagte Klasson. »Aber er ist es offenbar gewohnt, nirgends dazuzugehören, er schreibt das ja ganz am Anfang. Schon im ersten Satz. Wir haben es sicher mit einem sehr einsamen Menschen zu tun, das wage ich einmal zu behaupten.«
    »Aber ausgehend von dem, was er berichtet, kann man wohl keine psychiatrische Diagnose stellen?«, fragte Tallin.
    »Nein«, bestätigte Klasson. »Man kann natürlich alles Mögliche spekulieren. Er hat offensichtlich bereits Kontakt mit der Welt der Psychiatrie gehabt, vielleicht war er sogar schon einmal eingewiesen. Aber was in seinen Akten steht, darüber möchte ich nicht spekulieren.«
    »Du bist es sicher eher gewohnt, eine Diagnose über Leute zu stellen, die dir Aug in Aug gegenübersitzen?«, fragte Astor Nilsson.
    »Das ist richtig«, sagte Klasson und versuchte es mit einem kurzen Lächeln. »Das Profilen, das ist Lillieskogs Gebiet, aber wie gesagt, arbeiten wir häufig zusammen.«
    Lillieskog nickte. »Man muss ein Profil immer revidieren, wenn man den Menschen hinter der Maske gefunden hat«, erklärte er. »Und dabei lernt man meistens etwas Neues. Eine Sache, die mich stutzig gemacht hat, als ich seine Aufzeichnungen gelesen habe, das ist seine Frau. Er erwähnt sie zweimal, aber jedes Mal nur ganz kurz. Wir erfahren, dass sie tot ist. Fünf Jahre vor diesen Wochen in der Bretagne nach allem zu urteilen. Wie ist sie gestorben? Gibt es hier ein Trauma? Sie kann nicht besonders alt gewesen sein, wohl höchstens fünfundzwanzig? Es kann
    ein Unglück oder noch Schlimmeres dahinter stecken.«
    »Noch Schlimmeres?«, fragte Astor Nilsson.
    »Ja«, sagte Eva Backman. »Ich habe so ein schlechtes Gefühl, wenn er seine Frau erwähnt. Vielleicht hat es da angefangen?«
    »Gut möglich«, sagte Klasson. »Aber bisher wissen wir davon noch nichts.«
    »Es gibt nicht viel, was wir wissen«, sagte Astor Nilsson mit einem schweren Seufzer. »Obwohl er uns einen vierundsechzigseitigen Bericht geschickt hat.«
    »Richtig«, stimmte Klasson zu. »Wenn ihr ihn geschnappt habt, würde ich

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