Eine ganz andere Geschichte
gesehen, als ich einmal Gras gemäht habe, und ich habe kontrolliert, ob alles sauber ist und so, als er abgereist ist. Meine Frau war beim letzten Mal mit hier, Frauen haben natürlich einen besseren Blick dafür als wir Männer.«
Er zwinkerte verschwörerisch Inspektorin Morelius zu, die routiniert zurückzwinkerte.
»Sie sagen ›sie‹?«, fragte Tallin. »Dann waren es also zwei, die hier gewohnt haben?«
»Jedenfalls am Anfang waren es zwei«, bestätigte Masson. »Aber als Monsieur Bergman von hier abgereist ist, da war er allein.«
»Und die zweite Person, war das auch ein Mann?«, fragte Barbarotti.
»Oui. Das war ein Mann. Die waren wohl beide so in den Dreißigern. Ich habe mich nie für andere sexuelle Präferenzen interessiert als meine eigenen, deshalb … ja, das ist mir doch egal.«
Erneutes Zwinkern zu Morelius. Erneutes Zwinkern retour.
»Meinen Sie damit, dass es ein homosexuelles Paar war?«, fragte Barbarotti.
»Nein, ganz und gar nicht. Ich meine damit, dass es mich gar nicht interessiert hat, irgendwas zu meinen.«
»Wir verstehen«, sagte Tallin. »Wie hieß der andere Mann?«
Barbarotti schloss die Augen und ballte die Fäuste. Jetzt, dachte er. Ja oder nein?
Henri Masson zuckte mit seinen breiten Schultern. »Keine Ahnung.«
Morelius hätte das nicht übersetzen müssen, tat es aber dennoch. Ich habe auch nichts anderes erwartet, dachte Barbarotti. Warum sollte er so unvorsichtig sein und seinen Namen hinterlassen? Auch in dem Punkt stimmte das mit dem Mousterlin-Dokument überein.
»Sind Sie sich sicher, dass Sie nie seinen Namen erfahren haben?«, fragte Tallin und nahm vorsichtig einen kleinen Schluck Cidre.
»Absolut sicher«, erklärte Henri Masson. »Ich habe nie gewusst, wie er heißt, also habe ich es auch nicht vergessen.« Er klopfte mit einem Zeigefinger auf den Kopf seines Strohhuts. »Es war Monsieur Berg-man, der für das Haus verantwortlich war. Es gab auch nichts zu bemängeln, als er abreiste.«
»Ihnen ist nicht aufgefallen, ob vielleicht ein Schraubenschlüssel hinten im Geräteschuppen fehlte?«, fragte Barbarotti.
»Ein Schraubenschlüssel? Nein, bestimmt nicht. Aber da liegt so viel Schrott herum, da würde das auch nicht auffallen.«
»Ich verstehe«, seufzte Barbarotti.
»Dieser zweite Mann«, sagte Tallin. »Würden Sie ihn wiedererkennen, wenn Sie ihn sähen?«
Henri Masson trank einen großen Schluck Cidre und überlegte. »Vermutlich«, sagte er. »Ja, ich denke schon.«
Inspektor Barbarotti zog vorsichtig eines der Fotos aus der Mappe. Schob es quer über den Tisch zu Masson hin.
»Ist er mit auf dem Foto?«, fragte Tallin.
Henri Masson entschuldigte sich, zog aus einem glänzenden Metalletui eine Brille und setzte sie sich umständlich auf seine kräftige Nase. Fasste das Bild mit Daumen und Zeigefinger und studierte es fünf Sekunden lang.
»Oui«, sagte er und zeigte auf das Bild. »Ja, das hier ist er. Die beiden anderen kenne ich nicht.«
Gunnar Barbarotti stellte fest, dass er während der ganzen Prozedur den Atem angehalten hatte.
36
A ls Gunnar Barbarotti am Donnerstag aufwachte, war der Himmel von dunklen Wolken bedeckt, und er erinnerte sich, dass es in diesem Sommer in den Neunzigern genauso gewesen war. Strahlende, wolkenfreie Tage wechselten sich ab mit Gewitter und kalten Atlantik-winden. Was ein wenig an Helenas Stimmungsschwankungen erinnerte. Während er seine Morgentoilette machte, überlegte er, wie wohl ihr Zusammenleben aussehen würde, wenn sie sich nicht vor fast sechs Jahren getrennt hätten.
Das erschien ihm nicht gerade ein besonders passender Gedankengang für einen neuen, optimistischen Tag, und nach kurzer Zeit schob er ihn zur Seite. Sah ein, dass er unnötig früh aufgewacht und aufgestanden war, er hatte mit Tallin und Morelius verabredet, gegen halb neun Uhr zu frühstücken, und als er fertig angezogen war, war es erst acht. Dumm, eine halbe Stunde lang allein seine Croissants zu essen, stellte er fest, und dann tauchte ein anderer Gedanke in seinem Kopf auf.
Er hatte mit Sara nicht gesprochen seit … ja, das musste jetzt schon zwei Wochen her sein. Er hatte mehrere Male Anstalten gemacht, sie anzurufen, und immer war etwas dazwischengekommen.
Aber jetzt hatte er Zeit. Zwar war anzunehmen, dass sie immer noch schlief, aber andererseits konnte sich doch nichts mit der Freude messen, den Tag zu starten, indem man von seinem fürsorglichen und liebevollen Vater geweckt wurde?
Er wählte ihre Nummer.
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