Eine ganz andere Geschichte
Sechs Freizeichen waren zu hören, dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Er drückte ihre Stimme weg und rief noch einmal an.
Jetzt antwortete sie.
Zumindest ging er davon aus, dass sie es war. Es klang ungefähr, als zertrete man ein Baiser. Nicht, dass er es gewohnt war, Baisers zu zertrampeln, aber dennoch.
»Ich bin es«, sagte er. »Dein lieber Vater.«
»Papa?«
»Ja, hallo.«
»Warum … warum rufst du an … wie spät ist es denn? Sieben! Warum rufst du mich um sieben Uhr morgens an? Ist was passiert?«
»Es ist acht«, erklärte er.
»In England ist es sieben«, widersprach Sara. »Das weißt du doch wohl?«
»Ja, natürlich«, erinnerte Barbarotti sich. »Ja, ich habe nur gedacht, dass ich so lange nichts mehr von dir gehört habe, und jetzt habe ich gerade eine halbe Stunde Zeit.«
»Du hast eine halbe Stunde Zeit? Hast du denn so schrecklich viel zu tun?«
Er dachte nach. »Ja, habe ich wirklich«, sagte er. »Es war ein bisschen mühselig alles. Aber wir können auch auflegen, wenn du noch schlafen musst. Ich rufe dich dann heute Abend an.«
»Jetzt hast du mich geweckt«, sagte Sara. »Und übrigens, da ist eine Sache … ich wollte dich heute sowieso anrufen.«
»Ja?«, fragte Barbarotti. »Was für eine Sache denn?«
»Ich … ich muss mir ein bisschen Geld leihen.«
Verflucht, dachte Barbarotti. Jetzt ist es passiert.
»Wofür denn?«, fragte er.
Sara fragte normalerweise nicht nach Geld. Es gab also Grund für Misstrauen und Beunruhigung. Was gar nichts damit zu tun hatte, dass er so ein Gluckenpapa war.
»Wofür?«, wiederholte er.
»Ich will … nein, ich will das nicht sagen«, antwortete sie langsam und mit rauer Stimme. »Aber ich wollte es dir im Laufe des Herbsts zurückzahlen. Bis Weihnachten, ja?«
Weihnachten?, dachte er. »Und an wie viel hast du gedacht?«, fragte er.
»Viertausend«, sagte sie. »Oder fünf, wenn es möglich ist.«
»Fünftausend? Wozu um alles in der Welt brauchst du fünftausend, Sara?«
»Da ist eine Sache«, sagte Sara, und jetzt klang sie richtig traurig, wie er merkte. Nicht nur müde. »Aber ich kann dir nicht sagen, worum es geht.«
»Meine kleine Sara …«
»Auch nur dieses eine Mal. Du weißt, dass ich dich sonst nie um Geld anbettle, und ich verspreche, es dir zurückzuzahlen. Ich wollte Mama lieber nicht anrufen, weil …«
»Ich würde es vorziehen zu wissen, wozu du das Geld brauchst«, sagte er. »Das verstehst du doch sicher?«
»Wenn du es unbedingt wissen musst, dann versuche ich es woanders«, erklärte Sara.
»Mein Gott«, sagte er. »Nein, natürlich leihe ich es dir. Wie geht es dir überhaupt?«
»So lala«, antwortete Sara. »Aber das geht schon alles klar. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Papa.«
»Hast du noch den Job?«
»Ja.«
»In diesem Pub?«
»Ja, natürlich.«
»Und dieser Musiker? Hast du den auch noch?«
Warum frage ich das?, überlegte er. Ich will ja nur, dass sie mit Nein antwortet.
»Kann ich dich in ein paar Tagen anrufen, Papa?«, erwiderte sie. »Es ist im Augenblick ein bisschen schwierig zu reden.«
Warum das?, fragte er sich. Warum ist es schwer zu reden? Weil Malin gerade aufgewacht ist und jetzt zuhört? Oder weil dieser … wie zum Teufel hieß er noch … Robert? Richard? …
Nein, dachte Gunnar Barbarotti. Sie kriegt das Geld und eine Woche, dann fahre ich zu ihr und hole sie.
»Ich überweise das Geld heute noch«, sagte er. »Ich habe ja deine Kontonummer, das ist also kein Problem.«
»Danke, Papa«, sagte Sara. »Ich hab dich lieb.«
»Ich hab dich auch lieb«, sagte Gunnar Barbarotti. »Versuch, noch ein bisschen zu schlafen.«
Dann legte er auf. Er schaute auf die Uhr. Viertel nach acht. Er hatte ihr nicht einmal erzählt, dass er in Frankreich war.
Aber er hatte noch genügend Zeit, beim Bankservice in Schweden anzurufen und fünftausend Kronen zu überweisen. Als er die freundliche Dame danach fragte, wie viel er noch auf seinem Konto hatte, erklärte sie, dass es sich um zweiundsechzig Kronen und fünfzehn Öre handelte.
Weil Leblanc den Vormittag über mit seiner eigenen Kriminalitätsbekämpfung beschäftigt war, hatten sie ein paar Stunden für Sightseeing zur Verfügung – aber da der Regen genau in dem Moment einsetzte, als sie mit dem Frühstück fertig waren, änderten sie ihre Pläne. Stattdessen versammelten sie sich in Tallins Zimmer, bestellten eine Kanne Kaffee und setzten sich zusammen, um die Lage zu besprechen.
»Einer von euch, dem im
Weitere Kostenlose Bücher