Eine ganz andere Geschichte
Abend weiter, bis es ihm endlich gelingen würde, einzuschlafen. Irgendwann weit nach Mitternacht mit größter Wahrscheinlichkeit.
Dann würde er davon sicher auch noch träumen. Von dem Fall, den Ermittlungen und dem verborgenen Mörder in einem zeitlos diabolischen Kompott – oder Ragout, wie gesagt – zusammen mit den übrigen Ingredienzien seines verwirrten Lebens.
Marianne. Die Jungs. Sara. Göran Persson.
Göran Persson?, dachte er. Nein, verdammt, nicht Göran Persson.
Sein Handy klingelte.
Es war Asunander.
Was hat das zu bedeuten?, dachte Barbarotti. Asunander? Der ruft doch sonst nie an.
»Entschuldige«, sagte er.
Das war nicht weniger ungewöhnlich.
»Kein Problem«, sagte Barbarotti.
»Wo befindest du dich?«
»Ich trinke nur in der Stadt eine Tasse Kaffee.«
»Wann bist du zu Hause? Ich würde gern in aller Ruhe mit dir sprechen.«
Barbarotti begriff, dass es um ihn herum ziemlich laut war. Und dass er selbst vermutlich doppelt so alt war wie der nächstälteste Cafébesucher.
»Worum geht es?«
»Darüber reden wir später. Wenn ich dich zu Hause anrufen kann, ja?«
»Ja, natürlich«, sagte Barbarotti. »Selbstverständlich. Ich bin in einer Viertelstunde zu Hause.«
»Gut, dann ist das abgemacht«, sagte Asunander und legte auf.
Gunnar Barbarotti trank seinen Kaffee aus und verließ das Café.
»Ich würde gern mit dir über etwas sprechen.«
»Ja?«, sagte Barbarotti.
»Über den Fall.«
»Ja?«
»Ich war heute nicht auf dem Revier. Bin stattdessen zu Hause geblieben und habe gelesen und nachgedacht. Ich habe eine Theorie.«
Gunnar Barbarotti kniff sich in den Arm. Doch, er war wach. Es war Asunander, mit dem er sprach. Schnell dachte er nach und stellte fest, dass er den Kommissar tatsächlich den ganzen Tag über nicht gesehen hatte.
Aber eine Theorie? Asunander?
»Ich schlage vor, dass du zu mir nach Hause kommst. Dann können wir die Sache diskutieren. Wenn du nicht anderweitig beschäftigt bist, natürlich.«
»Nein, nein«, sagte Barbarotti. »Nein, ich habe nichts vor. Wann soll …?«
»Sagen wir um acht Uhr? Ich lade dich zu einem Whisky ein. Storgatan 14, der Türcode ist 1958. Fußballweltmeisterschaft in Schweden.«
»In Ordnung«, sagte Barbarotti. »Ich komme.«
Als er den Hörer aufgelegt hatte, fiel ihm ein, dass er während des ganzen Gesprächs nicht einmal das Klicken des Gebisses gehört hatte.
39
E in Whisky?, dachte Gunnar Barbarotti, während er zur Storgatan spazierte. Sie war nicht mehr als zehn Minuten von seinem eigenen Heim entfernt, eine ziemlich kleine Straße, aber vielleicht hatte sie früher ja einmal größer gewirkt. Warum um alles in der Welt will Asunander mich auf einen Whisky einladen? Und mir eine Theorie präsentieren.
Über den Fall.
Er war noch nie zuvor bei Asunander zu Hause gewesen. Er zweifelte daran, dass sonst jemand jemals dort gewesen war. Backman oder Sorgsen oder Toivonen. Vielleicht einer der Chefs aus den anderen Abteilungen, aber eigentlich glaubte er das eher nicht. Asunander war kein Typ, der Leute zu sich einlud. Auf jeden Fall nicht nach dem, was passiert war. Nach dem Unglück. Dem Baseballschläger und den neuen, nicht passenden Zähnen.
Barbarotti überlegte. Das war jetzt elf Jahre her. 1996. Asunander hatte gerade seinen Posten als Chef angetreten; er kam aus Halmstad und hatte nicht einmal ein halbes Jahr seinen neuen Posten innegehabt, als es passierte.
In Bellas Gasse hinter dem Bahnhof. An einem Abend im November, vier Rowdys und ein Schlag mit voller Wucht. Er war im Dienst gewesen, hatte jedoch Zivilkleidung getragen, und die Täter hatten während des Prozesses behauptet, dass es der reinste Zufall gewesen war, dass das Opfer ein hoher Polizeibeamter gewesen war.
Dann war er vier Monate lang krank geschrieben. Später hatte ihn seine Frau verlassen. Sie hatten ein Haus draußen in Pampas gehabt, nach der Scheidung hatte sich Asunander diese Wohnung in der Storgatan gekauft. Um eine lange, traurige Geschichte kurz zu machen.
Er hatte seinen Chefposten behalten und hatte sich mit jedem Jahr, das verging, immer mehr zurückgezogen. Aber er blieb auf seinem Posten. Begab sich nie wieder hinaus ins Feld. Wenn einem im Dienst die Zähne ausgeschlagen worden waren, dann konnte man einer Sache zumindest sicher sein: Man wurde nicht rausgeschmissen.
Was für ein schreckliches Schicksal, dachte Barbarotti. Warum habe ich noch nie zuvor darüber nachgedacht? Gibt es überhaupt jemanden, der sich
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