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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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betrachtete den windgepeitschten Baum und wartete schweigend, während Asunander seine Pfeife anzündete. Er nahm ein paar genussvolle Züge und stieß eine Rauchwolke zur Decke aus. Barbarotti wusste plötzlich nicht mehr, ob er wach war oder schlief. Die ganze Situation zeigte deutliche Zeichen eines beginnenden Albtraums.
    »Ich habe im Laufe des Tages ein paar Dinge überprüft«, erklärte Asunander. »Zu meiner Freude kann ich feststellen, dass alles in die richtige Richtung deutet.«
    »Jetzt spuck es endlich aus«, sagte Barbarotti.
    »Aber gern«, sagte Asunander. »Mein Ausgangspunkt ist also, dass dieser Fall eine Menge von Merkwürdigkeiten aufweist.«
    »Dem kann ich nur zustimmen«, sagte Barbarotti.
    Asunander beugte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt. »Hör mal zu, lass mich das Ganze kurz rekapitulieren. Der Mörder schreibt Briefe an dich. Er teilt sich den Zeitungen mit. Er sagt, welche Personen er töten will, obwohl sie in den meisten Fällen bereits tot sind, wenn du die Briefe bekommst. Eine mit Namen genannte Person tötet er dann doch nicht. Er schreibt ein dickes Dokument, in dem er über merkwürdige Ereignisse im Finistère vor fünf Jahren berichtet. Das schickt er dir aus Kairo. Die Frage ist also: Warum tut er das alles?«
    »Er tötet außerdem fünf Personen«, bemerkte Barbarotti.
    »Natürlich. Aber warum tut er all das andere? Was ist sein Grund dafür?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Barbarotti.
    »Du weißt es nicht?«
    »Nein.«
    »Und dabei haben wir nach so einem Grund gesucht, seit es angefangen hat«, stellte Asunander fest und legte die Pfeife auf den Tisch. Warf sich stattdessen zwei Oliven in den Mund. »Und wir haben auch mehrfach den richtigen Grund genannt.«
    »Ja, haben wir das?«, fragte Barbarotti und hatte plötzlich das Gefühl, der Kommissar wolle ihn zum Besten halten. Oder er habe noch einmal einen Baseballschläger an den Kopf gekriegt.
    »Mehrfach«, wiederholte Asunander. »Jeden Tag haben wir das geäußert.«
    »Komm zur Sache«, sagte Barbarotti.
    »Verwirren«, sagte der Kommissar und spuckte die Olivenkerne in die Hand. »Er tut das, um uns zu verwirren. Unsere Arbeit durcheinanderzubringen. Unseren Blick zu irritieren und uns dazu zu bringen, in die falsche Richtung zu schauen. Oder? Haben wir das nicht immer wieder gesagt?«
    »Doch, natürlich«, bestätigte Barbarotti. »Und ich stimme dem zu, den Gedanken hatte ich die ganze Zeit.«
    »Ich auch«, sagte Asunander. »Das Problem ist, dass es uns so schwerfiel, an dieser Spur dranzubleiben. Sobald ein neuer Akt begann, haben wir sofort angefangen, hierhin und dahin zu analysieren und hektisch zu reagieren.«
    Barbarotti dachte nach.
    »Statt einzusehen, dass alles zusammen vollkommen sinnlos war«, fuhr Asunander fort. »Es gibt keine Logik, es gibt keinen Grund hinter all diesen Briefen. Und auch nicht dafür, dass ausgerechnet du sie bekommen hast. Er hat nie geplant, Hans Andersson zu ermorden. Er hat nie irgendein Mädchen auf irgendeinem Boot losgelassen, und es gibt keine vergrabene Großmutter irgendwo um Mousterlin herum.«
    »Was?«, rief Barbarotti.
    »Alles ist nur erfunden.«
    Er nahm seine Pfeife wieder hoch, zündete sie aber nicht an. Barbarotti schüttelte den Kopf und versuchte zu begreifen, was Asunander da behauptete.
    »Aber er hat die anderen doch ermordet …«
    »Ha, stimmt. Und dazu hat er einen Grund. Zumindest, was ein paar von ihnen angeht.«
    »Ein paar von ihnen? Jetzt … jetzt verstehe ich nicht richtig«, sagte Barbarotti und trank einen Schluck Whisky. Als er das Glas abstellte, merkte er zu seiner Überraschung, dass seine Hand zitterte.
    »Aber soweit kannst du mir folgen?«, fragte Asunander und betrachtete ihn mit einem leicht blinzelnden, witternden Blick, wie ihn Barbarotti noch nie bei ihm gesehen hatte.
    »Ja«, sagte er. »Ich denke schon.«
    »Gut«, sagte Asunander. »Dann schenken wir uns noch einen Whisky ein, und dann werde ich dir erzählen, wie meiner Meinung nach alles zusammenhängt.«
    Als er Kommissar Asunanders Wohnung in der Storgatan verließ, war es Viertel nach elf, und es hatte angefangen zu regnen. Ein richtiger kalter, durchdringender Herbstregen war das, aber er merkte ihn nicht. Die Theorie, die Asunander dargelegt hatte – und die sie zwei Stunden lang ausführlich diskutiert hatten, während sie die Whiskyflasche leerten –, erfüllte seine Gedanken und sein Bewusstsein so sehr, dass er vermutlich nicht einmal reagiert

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