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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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uns zu unterhalten, brachte uns sogar dazu, gemeinsam zu singen, etwas, von dem ich dachte, das gehörte nur in schwedische Verhältnisse und zu einer anderen Form der Tischgesellschaft. Das Mädchen saß zwischen Erik und Gunnar und achtete genau darauf, ihre Gunst so gerecht wie möglich zwischen beiden zu verteilen. Wenn sie dem einen ein Küsschen aufs Ohr gab, machte sie es sofort auch bei dem anderen, und als wir endlich die Rechnung bekamen, bestand sie darauf, ihren Teil zu bezahlen, was ihr natürlich nicht erlaubt wurde.
    Wir kamen gegen halb vier zurück zu unserem Platz am Strand, und während wir alle nach dem Essen in der angenehmen Meeresbrise schlummernd saßen oder halb lagen, malte uns das Mädchen weiter. Sie stand zehn Meter von uns entfernt, die Beine breit auseinan der, die Füße halb im Sand versunken, der Strohhut im Nacken, ein Ausdruck verschleierter Konzentration in ihrem süßen Gesicht. Katarina Malmgren verfluchte sich selbst, dass sie ihren Fotoapparat im Haus vergessen hatte, und ich verstand sie. Dieses Mädchen hat etwas unwiderstehlich Einnehmendes an sich, eine Art Unbändigkeit, einen knospenden Charme, gegen den man sich nur schwer wehren kann. Ich weiß nicht, ob meine Beobachtung stimmt, aber ich hatte das Gefühl, dass Anna im Laufe des Nachmittags immer stiller wurde, als wäre zwischen ihr und dem Mädchen, zwischen der erwachsenen Frau und dem Kind, eine Art Rivalität gewachsen. Vielleicht übertreibe ich auch, ich bin es nicht gewohnt, mich in die Motive und Beweggründe fremder Menschen hineinzuversetzen, aber als Gunnar einmal versuchte die Hand unter Annas Po zu schieben, wurde er auf jeden Fall diskret, aber entschieden zurückgewiesen. Sie knurrte sogar; Erik bemerkte den Zwischenfall auch, und wir wechselten einen Blick konspiratorischen Verständnisses, wie man so sagt. Aus irgendeinem Grund ärgerte mich das. Der Blick, meine ich; die Hand, die versuchte, sich zwischen Anna Erikssons Schenkel zu schieben, interessierte mich nicht.
    Nach einer Weile, als keiner mehr zu schlummern schien – aber Troaë immer noch beharrlich hinter ihrer Staffelei stand und malte –, kam die Rede wieder auf eine Bootsfahrt hinaus nach Les Glénan. Das war eine kleine Inselgruppe fünfzehn, zwanzig Minuten von Beg-Meil entfernt; Henrik und Gunnar hatten während des Essens über so einen Ausflug gesprochen, von irgendeinem Hafen östlich der Halbinsel gehen ein paar Mal am Tag Boote dorthin. Aber man kann sich auch selbst ein Fahrzeug mieten, offenbar hatten die beiden einige Erfahrung mit Booten, und es ging jetzt darum, herauszubekommen, was es kostete und unter welchen Bedingungen es möglich war. Soweit ich verstand, sollten wir an einem der folgenden Tage alle zusammen hinausfahren, Anna und Katarina mischten sich gleich begeistert ein, schlugen einen schicken Ganztagesausflug vor mit Picknickkörben, Weinflaschen und Angelzeug und einer eigenen Insel ohne diese Massen anderer Touristen; plötzlich klang es, als wären wir auserwählt. Angesichts dieses plötzlich aufbrechenden Elitedenkens überfiel mich wachsender Ekel, aber gleichzeitig registrierte ich, dass Erik sich nicht an dem Gespräch beteiligte. Vielleicht war er die beiden Paare bereits leid geworden, aber bei Erik war das nur schwer zu sagen.
    Die Glénandiskussion wurde dadurch unterbrochen, dass Troaë fertig mit Malen war. Ja, das Bild war noch nicht fertig, aber sie brauchte uns nicht länger als Modell, wie sie erklärte. Katarina fragte noch einmal, ob wir uns nicht das Resultat ansehen dürften, aber das ging nicht. Vielleicht morgen oder übermorgen, aber unter keinen Umständen, bevor das Kunstwerk vollendet und die Farbe getrocknet war. Das Mädchen sammelte ihre Sachen zusammen und verstaute sie im Rucksack, dann tat sie etwas Überraschendes. Sie verkündete, dass sie baden gehen wollte, warf den Hut ab, zog sich den Badeanzug aus und lief nackt über den Strand, direkt ins Wasser. Der Einzige in der Gesellschaft, der ein Wort herausbrachte, war Erik. »Verdammt noch mal«, sagte er. »Was war das denn?« Seine Stimme klang ein wenig belegt.
    Sie kam nach fünf Minuten zurück, stellte sich ungeniert hin und trocknete sich mit einem roten Handtuch ab, ihre kleinen Brüste standen ab, ihr Schoß zeigte ein winziges Büschel dunkler Haare, aber nicht mehr als eine Andeutung; ich dachte, dass es ein Auftritt war, der wirklich auf dem schmalen Grat zwischen kindlicher Unschuld und raffinierter

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