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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Kern, und solange sie in der Peripherie bleiben, kann ich sie so einfach benutzen wie den Stift in meiner Hand.
    Meine letzten Gedanken heute Abend auf der Terrasse gehen zu Troaë. Ich habe anfangs geschrieben, dass sie vielleicht eine alte Frau im Körper eines jungen Mädchens sei, es war eigentlich nur eine Formulierung, die mir in den Kopf gekommen ist, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, muss ich zugeben, dass sie der Wahrheit ziemlich nahe kommt. Vielleicht verhält es sich auch mit diesen Reflexionen, die sich ungebeten einstellen, so – sie tragen oft ein Gewicht und eine Stärke in sich wie durchdachte und reiflich überlegte Dinge. Eine Direktheit.
    Denn es war etwas in diesem Lächeln, in den geschickten Händen, die dem jungen Körper den Badeanzug abgestreift haben. Die Bewegungen einer Erfahrung, die über jungfräuliches Gelände tanzt, ich wünschte, solche Ausdrücke wären nicht so leicht zugänglich, sie hätten Verstand genug, sich von meinem Bewusstsein fernzuhalten. Die Direktheit, von der ich gerade sprach, hat keinen eigenen Wert an sich, und ich hoffe, dass ich nicht von dem Mädchen träumen werde.
    Auf jeden Fall werde ich jetzt ins Bett gehen. Die Ruhe, die ich in mir spüre, ist nur äußerlich, möglicherweise ziehen Sturm und Dunkelheit herauf, aber ich werde höchstwahrscheinlich noch ein paar Tage an dieser sonnendurchtränkten Küste bleiben.
    Kommentar, Juli 2007
    Wie gut, dass ich mit ihm angefangen habe. Als ich jetzt noch einmal durchlese, was ich über dieses sinnlose Gespräch mit diesem vollkommen gefühlskalten Individuum geschrieben habe, kann ich nicht anders, als mich zu beglückwünschen. Auch wenn ich an dem Abend nicht die geringste Ahnung hatte, was passieren würde, habe ich ja dennoch den Finger auf Eriks Charakter gelegt; die Summe des Guten auf der Welt ist durch seinen Tod nicht weniger geworden, im Gegenteil. Es sind keine solchen ethischen Überlegungen, die mich antreiben, in keiner Weise – aber es schadet natürlich nichts, sich an sie zu erinnern. Niemand wird Erik Bergman vermissen, es hat fünf Jahre gebraucht, dieses Gleichgewicht, das in Mousterlin aus dem Lot geraten ist, wiederherzustellen, damit anzufangen, es wiederherzustellen, und es waren schreckliche Jahre. Unzählig sind die Nächte, in denen ich in kaltem Schweiß aufwachte, nachdem ich vom Körper des Mädchens in meinen Armen geträumt habe, unzählig sind die Momente, in denen ich am äußersten Rand der Verzweiflung stand, bereit, mein eigenes Leben zu opfern.
    Aber es ist nicht mein Tod, mit dem das Geschehene gesühnt werden soll, es ist der Tod der anderen. Handlungen müssen Konsequenzen nach sich ziehen, ich agiere nur als Werkzeug für eine entsprechende Gerechtigkeit.
    Das Ganze ist sehr einfach, und ich denke nicht daran, mich schnappen zu lassen; als ich endlich das Messer in Erik Bergmans Bauch habe rammen können an diesem schönen Morgen, konnte ich deutlich spüren, wie meinen eigenen Körper frische Luft durchströmte.
    Muss ich noch mehr sagen?

    1. – 7. August 2007

    6
    C hristina Lind Bergman war eine dunkelhaarige Frau in den Vierzigern.
    Sein erster Eindruck von ihr war, dass sie unerwartet gefasst erschien, wenn man bedachte, dass ihr einziger Bruder vor kurzem erstochen worden war. Aber es war ja inzwischen ein Tag vergangen, vielleicht hatte sie ein Beruhigungsmittel bekommen. Er erinnerte sich außerdem daran, dass sie Ärztin war und damit vertraut mit dieser Art von Hilfsmitteln.
    Ihre erste Äußerung, nachdem die Formalitäten überstanden waren – und nachdem sie sowohl Kaffee als auch Tee oder Wasser dankend abgelehnt hatte –, gab ihm dann die Bestätigung, dass seine Beurteilung richtig gewesen war. Sie war gefasst.
    »Mein Bruder und ich, wir standen uns nicht besonders nahe«‚ sagte sie. »Das dürfen Sie auch gleich wissen. Mir ist klar, dass Sie mich verhören müssen, aber ich kann Ihnen versprechen, dass ich nichts zu den Ermittlungen beitragen kann. Nicht das Geringste.«
    Ausgezeichnet, dachte Gunnar Barbarotti. Dann gehen wir wenigstens nicht mit zu hohen Erwartungen an die Sache heran.
    »Aha«, sagte er. »Und könnten Sie das vielleicht ein wenig präzisieren?«
    Das konnte sie. Zupfte mit der Spitze des kleinen Fingers etwas aus dem Augenwinkel und begann.
    »Ich bin fünf Jahre älter als mein Bruder. Es gibt keine weiteren Geschwister. Das ist ein etwas zu großer Abstand, als dass man als Kinder etwas voneinander haben könnte. Als

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