Eine ganz andere Geschichte
erwartet hatte.
»Ich hatte so das Gefühl, als wir gestern Abend am Baden waren«, sagte Erik. »Und sie war ja fast eifersüchtig auf dieses Mädchen, das
hast du doch wohl auch gemerkt?«
»Die ist aber auch ziemlich provokant.«
»Zugegeben«, nickte Erik lachend. »Aber Anna gefiel es gar nicht, wie Gunnar sie angeglotzt hat, das war ziemlich deutlich. Sie ist bestimmt der Meinung, dass sie diejenige ist, die man angucken soll, die meisten Frauen haben ja diesen Zug am Leibe.«
Ich erwiderte nichts. Es war genau die Art von Gesprächen, die ich nur schwer ertragen kann. Pseudophilosophische, billige Verallgemeinerungen, und Schlussfolgerungen anhand erbärmlicher Lebenserfahrungen, die sich so gern nach ein paar Gläschen einstellen. Du blöder Kerl, dachte ich. Du weißt doch gar nichts vom Leben. Wenn ich dir jetzt ein Messer in den Bauch steche und es etwas drehe – und dir gleichzeitig einen Spiegel hinhalte, dann könntest du die Unwissenheit in deinen eigenen Augen sehen. Das würde dich etwas lehren.
Ich war verwundert über diese plötzliche und zielgerichtete Wut, die in mir aufstieg. Bis dahin hatte ich eine Art Sympathie für Erik empfunden, aber jetzt verursachte er mir nur Ekelgefühle.
»Aber eigentlich finde ich ja, Katarina ist interessanter«, sagte er. »Die hat eine andere Art von Weiblichkeit an sich.«
»Warum legst du es dann nicht auf sie an?«, fragte ich.
Er saß schweigend da und rollte eine Weile die Bierflasche über die Stirn.
»Es würde zuviel kosten«, erklärte er schließlich. »Großer Einsatz und möglicherweise kein Profit. Nein, die überlasse ich dir.«
»Nein, danke«, sagte ich.
Die Dämmerung senkte sich, ein Igel kam friedlich über das Gras spaziert und verschwand unter dem Geräteschuppen, mir schien, dass jetzt die Gelegenheit für ihn wäre, mir die eine oder andere Frage zu meiner Person und meinen Verhältnissen zu stellen. Doch er tat es nicht, auch dieses Mal nicht; wir lebten jetzt seit fast fünf Tagen unter einem Dach, und er wusste immer noch nichts über mich. Ich hatte ihm gleich am ersten Tag im Auto einen Namen und einen Ort genannt, dabei ist es dann aber auch geblieben. Ich glaube, ich habe noch nie jemanden getroffen, der so explizit desinteressiert ist an seinen Mitmenschen wie Erik Bergman, ich habe ein paar Tage gebraucht, bis mir das klar wurde, aber jetzt erkenne ich es deutlich. Gleichzeitig spüre ich eine gewisse Erleichterung darüber. Hätte er angefangen, mich mit Fragen über meinen Hintergrund zu löchern, wäre es kaum möglich gewesen, mit ihm auf dieser lockeren Ebene zusammenzuleben. Andererseits muss man sich ja fragen, warum er mich überhaupt hier wohnen lässt. Ich muss zugeben, dass ich mir keinen Reim darauf machen kann. Wenn er irgendwelche homosexuellen Absichten hat, dann hat er sie bislang zumindest gut verborgen.
Er leerte seine Bierflasche und zündete eine Zigarette an.
»Ich glaube, wir sollten auf jeden Fall diesen Ausflug zu den Inseln mitmachen«, sagte er. »Wenn die alles mit dem Boot und so regeln.«
»Warum nicht«, sagte ich, und dann sprachen wir nicht mehr viel. Starrten nur in die zunehmende Dunkelheit. Nach einer Viertelstunde oder zwanzig Minuten erklärte Erik, dass er müde sei und in die Koje wolle. Ich sagte, ich würde mich um den Abwasch kümmern und vielleicht noch eine Weile aufbleiben, er nickte und verschwand in seinem Zimmer. Ich hörte ihn eine Weile zwischen verschiedenen Radiosendern hin und her schalten, aber er wurde dessen schnell müde. Ich deckte wie versprochen ab, holte mein Notizbuch und ein weiteres Bier heraus und ließ mich wieder auf der Terrasse nieder. Begann den Tag zusammenzufassen; wenn Doktor L wüsste, wie genau ich es mit meinem Schreiben nehme, würde er mich loben. Wir haben alle unsere individuellen Wege zur Heilung, wie er immer zu sagen pflegte. In deinem Fall ist das Schreiben, aufzuzeichnen, was geschehen ist, eine der wichtigsten Komponenten, vielleicht sogar die allerwichtigste.
Ich bin mit Doktor L nicht immer einer Meinung, aber was das angeht, bin ich mir immer sicherer, dass er das richtig einschätzt. Es sind die Worte an sich, die mich zwingen, einen Weg zu wählen.
Es ist halb elf Uhr. Das Meer ist tief in der Dunkelheit wie das Atmen eines riesigen Tieres zu hören. Insekten flattern um die Lampe. Ich fühle mich gesund und stark, diese Menschen, von denen ich zufälligerweise umgeben bin, berühren mich nicht. Sie dringen nicht bis zum
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