Eine ganz andere Geschichte
alles andere war undenkbar.
Wieso das?, hatte Barbarotti gedacht. Wenn Grimle Bergman nur im Licht ihrer Computerfirma gesehen hatte, dann konnte er doch gar nichts über die Dämonen wissen, die möglicherweise im Privatleben seines Geschäftspartners lauerten? Müsste er nicht selbst einsehen, dass sein Blickwinkel ein wenig eingeschränkt war?
Aber es gab bereits ein zwölfseitiges, ausgedrucktes Protokoll vom gestrigen Verhör mit Grimle, deshalb beschloss Barbarotti, es für dieses Mal gut sein zu lassen.
»Können Sie sich daran erinnern, ob Erik irgendwann einmal etwas von einem anonymen Brief erwähnt hat?«, fragte er, als sie sich bereits die Hand gegeben hatten und Andreas Grimle im Begriff stand, den Raum zu verlassen.
»Einen anonymen Brief?«, wiederholte Grimle, wobei ihm die Verwunderung groß in sein offenes, ehrliches Gesicht geschrieben stand. »Nein, warum um alles in der Welt sollte er das tun? Warum fragen Sie?«
Darauf hatte Inspektor Barbarotti nicht geantwortet. Stattdessen hatte er Grimle ermahnt, sich augenblicklich mit der Polizei in Verbindung zu setzen, wenn ihm etwas einfiele, von dem er glaubte, es könnte auch nur die geringste Bedeutung für die Ermittlungen haben.
Das versprach Grimle, verabschiedete sich und wünschte der Polizei viel Erfolg bei der Jagd nach dem Mörder.
Der Profiler aus Göteborg tauchte genau in dem Moment auf, als Barbarotti Backman anrufen und ihr ein Abendessen im Kungsgrillen vorschlagen wollte.
So wurde es stattdessen ein Arbeitsessen mit dem Profiler. Der hieß Curt Lillieskog, Barbarotti meinte, ihn früher schon einmal getroffen zu haben – das glaubte Lillieskog auch, aber sie kamen nicht dahinter, wo und wann das der Fall gewesen sein sollte.
Lillieskog war in den Sechzigern, dünn, aber drahtig – und mit einer Art lebendigem Enthusiasmus für seine Arbeit, die fast teenagerhaft wirkte. Als ob er es gewesen wäre, der den Begriff Täterprofil erfunden hatte und jetzt damit auf Tournee ging, um dafür zu werben und seine Idee zu verkaufen. Er findet es cool mit Mördern, dachte Barbarotti. Und es ist ihm nicht einmal peinlich.
»Solche Briefschreiber, die sind äußerst ungewöhnlich«, erklärte Li llieskog einleitend. »Auf jeden Fall solche, die dann ihre Absichten in die Tat umsetzen. Nettes Lokal, isst du häufiger hier?«
Barbarotti gab zu, dass sowohl er als auch Kollegen von ihm den Kungsgrillen aufsuchten, wenn es in der Kantine des Polizeireviers einfach zu mies war – und dass die dortige Hausmannskost nur selten etwas zu wünschen übrig ließ. Sie bestellten das Tagesgericht – Kalbsfrikadellen mit Kartoffelpüree und Preiselbeeren –, ließen sich an einem Fenstertisch nieder und begannen mit dem Profilieren.
»Ich glaube, wir haben es mit einer Person zu tun, die um jeden Preis Bestätigung haben will«, sagte Lillieskog.
Genau das habe ich schon hundert Mal gehört, dachte Barbarotti. Aber es kann ja trotz allem richtig sein. »Führ das näher aus«, bat er.
»Gern«, sagte Lillieskog. »Das sagt an und für sich nicht viel über unseren Mann, weil es im Großen und Ganzen für alle Arten von Gewalttätern gilt. Bei den meisten liegt ein vernachlässigtes Bedürfnis nach Bestätigung verborgen. Sie erleben, dass sie nicht gesehen werden, das hat oft seine Grundlage tief in der Kindheit und ist verstärkt worden durch verschiedene Arten von Zukurzkommen und Misserfolgen im Laufe des Lebens. Das ist sozusagen das kriminelle Grundmuster an und für sich.«
»Ich verstehe«, sagte Gunnar Barbarotti. »Und warum schreibt man dann Briefe?«
»Da sehe ich zwei mögliche Alternativen«, erklärte Lillieskog und teilte seine Kalbsfrikadelle mit der Gabel mittendurch. »Entweder ist es ein Zeichen dafür, dass er gefasst werden möchte. Dass er in seinem tiefsten Innern nicht mit dem zufrieden ist, was er tut, und dass er der Polizei auf die Sprünge helfen will, damit ihm Einhalt geboten wird.«
»Warte mal«, sagte Barbarotti. »Du setzt voraus, dass er mehrere Menschen töten will. Dass es mit der Anna Eriksson also ernst gemeint ist?«
»Das halte ich für sehr wahrscheinlich«, sagte Lillieskog. »Möglicherweise hat er eine Liste mit Personen, hinter denen er her ist. Drei oder sieben oder zwölf Stück, die ihn auf irgendeine Weise geärgert haben. Aber es kann auch sein, dass er die Namen nur nach dem Zufall sprinzip aus dem Telefonbuch sucht. Ihr habt bisher keinen Zusammenhang zwischen Erik Bergman und Anna
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