Eine ganz andere Geschichte
ihr Reihenhaus betreten und alle ihre drei Kinder treffen. Ihren Mann außerdem auch. Ja, das war schon etwas anderes.
»Woran denkst du?«, fragte sie.
»An nichts Besonderes«, antwortete er. »Ich biege hier ab, wir sehen uns morgen.«
»Schlaf gut und hab schöne Träume«, sagte Inspektorin Backman und warf ihm einen Handkuss zu.
Genau, dachte er. Einsame Menschen sollten das Recht darauf haben. Auf ein reiches Traumleben in Ermangelung alles anderen.
Es war Viertel nach zehn, als sie anrief. Als er ihre Stimme hörte, wusste Gunnar Barbarotti plötzlich, was für ein Gefühl es sein musste, in letzter Sekunde vor dem Ertrinken gerettet zu werden. Gleichzeitig fürchtete er den Gefühlsschwall, der ihn überrollte; das Blut hämmerte in den Schläfen, und die Zunge klebte am Gaumen. Marianne ihrerseits dagegen klang vollkommen ruhig und normal.
Was ist mit mir los?, dachte er entsetzt. Schau dir nur die Hand an, die den Hörer hält, wie sie zittert!
Marianne erklärte ihm, dass leider etwas mit dem Handy nicht stimmte, das die Kinder mitgebracht hatten, deshalb hatte es so lange gedauert, bis sie von sich hören ließ.
»Dann stehst du also in Hagmunds und Jolandas Küche?«, fragte Barbarotti.
»Stimmt«, bestätigte Marianne. »Es ist etwas spät geworden, aber glücklicherweise waren sie noch nicht ins Bett gegangen. Wie geht es dir?«
»Ich … ich sehne mich nach dir«, sagte Gunnar Barbarotti und schaffte es, zu schlucken.
»Gut. Deshalb soll man sich ja ab und zu mal trennen. Um zu lernen, sich zu sehnen. Habt ihr diesen Briefschreiber schon erwischt?«
»Nein«, gab Barbarotti zu und spürte, dass er überhaupt keine Lust hatte, mit Marianne über die Arbeit zu sprechen. Aber es war natürlich ganz normal, dass sie fragte. Schließlich war ja der Briefeschreiber schuld, dass er Gustabo vorzeitig hatte verlassen müssen. Und deshalb saßen sie jetzt jeder an einem Ende einer Telefonleitung, statt Körper an Körper. »Aber wir arbeiten dran«, sagte er. »Wie geht es dir? Sind die Kinder gut angekommen?«
Sie lachte. »Oh ja. Aber sie waren doch ein wenig enttäuscht, dass sie den Kriminalpolizisten nicht angetroffen haben. Du stehst ziemlich hoch bei ihnen im Kurs, mein Geliebter.«
Ich habe sie hinters Licht geführt, dachte Gunnar Barbarotti. Habe allen dreien Sand in die Augen gestreut. Wie wurde das noch genannt? Das Groucho-Marx-Syndrom? Dieses spezielle Phänomen, dass man sich nicht vorstellen kann, Mitglied in einem Club zu sein, der jemanden wie einen selbst als Mitglied akzeptiert.
»Ach«, sagte er. »Du weißt doch, wie Teenager sind, die wechseln ihre Meinungen öfter als ihre Strümpfe.«
Sie tauschten noch ein Dutzend Sprüche ungefähr der gleichen Qualität aus, dann senkte Marianne ihre Stimme und offenbarte, dass sie einen Eisprung hatte und dass sie wenig Lust hatte, allein in einem Bett zu schlafen, in dem Platz für zwei war. Gunnar Barbarotti erklärte, dass er für seinen Teil zwar keinen Eisprung hatte, aber bereit war, mit ihr an allen noch ausstehenden Tagen seines Lebens – oder besser gesagt, in allen Nächten – in einem Bett zu schlafen, in dem nur Platz war für einen ganz kleinen Hund oder so, und dann kam offenbar Jolanda aus irgendeinem Grund in die Küche. Das war bis nach Kymlinge zu hören. Marianne holte tief Luft, wünschte ihm eine gute Nacht und versprach, sich an einem der nächsten Tage nach Visby zu begeben, um sich ein neues Handy zu kaufen. Möglichst ohne Wissen der Kinder, sie wollte an den Gustaboregeln nicht allzu sehr rütteln.
Als sie aufgelegt hatten, ging Gunnar Barbarotti hinaus und setzte sich mit einem Bier auf den Balkon. Mein Gott, dachte er. Mir war gar nicht klar, dass sie mir so viel bedeutet. Wenn ich sie verliere, schieße ich mir eine Kugel in den Kopf.
Er blieb eine Weile sitzen, während er sein Bier trank und die Reste des Sonnenuntergangs betrachtete – die Sonne hing wie eine verschmierte, blasse Fata Morgana über Pampas und hinter dem Hochhaus hinten in Ångermanland. Und die Krähen, die in krächzenden Scharen angeflogen kamen, um ihre Schlafplätze auf den Dächern der Stadt und in den Ulmen im Stadtpark einzunehmen, die betrachtete er auch. Sie waren früh dran dieses Jahr, oder? Er hatte die Kräheninvasion immer mit etwas kühleren Herbstabenden verbunden. Ende August und September. Aber natürlich gab es sie das ganze Jahr über, genau wie alle anderen Lebewesen. A man without a woman, dachte er dann,
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