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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Zerbrechlichkeit? Dass es letztlich jeden als Nächstes treffen konnte? Heute rot, morgen tot, der Abstand zwischen leben und nicht mehr leben konnte in Millimetern und Bruchteilen von Sekunden gemessen werden, man konnte Prognosen machen und fast hundertprozentige Wahrscheinlichkeitsberechnungen aufstellen, aber wenn man eines Tages dort im Land der Dämmerung lag, dann konnte das nur heißen, dass irgendeine der Berechnungen schiefgelaufen war. Oder nicht? Auch wenn die Anzahl der Mordopfer in diesem Land Jahr für Jahr ziemlich konstant blieb, so bedeutete das nicht, dass das jeweilige Opfer, Erik Bergman zum Beispiel, das Resultat irgendeiner Form von funktionierendem Prinzip war. Der Tod war das einzig Sichere, und dennoch kam er immer wie eine Überraschung. Jedenfalls fast immer.
    Ich kann beispielsweise nicht mit Sicherheit sagen, ob Marianne in diesem Moment am Leben ist, dachte er mit plötzlicher Panik – und dann fiel ihm ein, dass es Donnerstag war und dass heute ihre Kinder mit einem Handy nach Gotland kommen sollten. Fast in der gleichen Sekunde wurde ihm bewusst, dass er nicht wusste, welche Nummer es hatte. Vielleicht war es eines der Apparate der Teenager, nicht Mariannes eigenes? Aber er würde einfach ihre Nummer versuchen, natürlich würde er das, es schadete ja nichts, es zu probieren; auf jeden Fall wollte er dafür sorgen, dass sein Handy den ganzen Tag eingeschaltet und erreichbar war, damit er nicht ihren ersten Anruf verpasste. Übrigens hätte er nicht übel Lust, genau jetzt den Konferenzraum zu verlassen und einen Versuch zu unternehmen, vielleicht waren sie ja schon mit der frühen Morgenfähre gekommen? Wenn es denn so etwas gab.
    Ich frage mich, wie wohl mein Leben in genau fünf Jahren aussehen wird?, dachte er dann ohne Vorwarnung. Bin ich dann mit Marianne verheiratet? Und wo werde ich wohnen? Ich kann sie ja wohl nicht dazu bringen, nach Kymlinge zu ziehen? Andererseits, was hält mich hier eigentlich? Nichts. Meine Kinder sind ausgeflogen, ich bin frei wie ein Vogel, mich an jedem Fleck auf der Welt niederzulassen.
    Und so – während Sorgsen weiterredete – kullerten die Gedanken weiter wie ein Schneeball einen Hang hinunter.
    Werde ich in fünf Jahren überhaupt noch Polizist sein? Warum nicht stattdessen ein bisschen weitermachen mit der Juristerei?, jetzt habe ich ja wohl genug von der Kehrseite gesehen … aber Staatsanwalt scheint auch nicht besonders cool zu sein. Da braucht man sich nur Dum-Ramundsen oder Sylvenius anzuschauen, finsterere Typen muss man erst mal finden, übrigens ist ja gar nicht gesagt, dass ich in fünf fahren noch am Leben bin … wie gesagt, habe ich nicht genau darüber gerade eben erst nachgedacht? Würde mich nicht wundern, wenn ich während Carlssons Vortrag einen leichten Schlaganfall gehabt habe, die können ja ganz unmerklich ablaufen, und man soll nur nicht glauben, dass man davor sicher ist, nur weil man noch keine fünfzig ist …
    Als Sorgsen seinen Bericht endlich abschloss, indem er erklärte, dass mehrere wichtige Verhöre noch ausstanden und dass alle Abschriften in den üblichen Dateien zu finden seien, lag die Gedankenaktivität in Gunnar Barbarottis Gehirn nur leicht über dem Nullpunkt. Vielleicht auch leicht darunter. Er hatte alle Mühe, die Augen offen zu halten, und das konnte er sich nur dadurch erklären, dass es eine Art Jetlag im Zusammenhang mit der Heimreise von Gotland gegeben haben musste.
    Hinzu kam, dass er im Augenblick vermutlich nicht der effektivste Kriminalpolizist der Welt war.

    9
    I n meinem Kopf stimmt etwas nicht. Ich packe diese Besprechungen nicht mehr.«
    Eva Backman schaute ihn mit einem bösen Lächeln an. »Ich stimme dir zu, dass in deinem Kopf etwas nicht stimmt. Aber ich fürchte, es hat nichts damit zu tun, dass du eine dreistündige Besprechung nicht mehr packst.«
    »Nicht?«, fragte Barbarotti. »Nun ja, wenn die Inspektorin das sagt, gut. Wie ist es mit den Annas gelaufen?«
    »Möglicherweise werde ich die eine heute Nachmittag erwischen«, erklärte Backman. »Die vom Grimstalundsvägen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich in Värmland mit einem heimlichen Geliebten aufhält. In der Nähe von Grums.«
    »Warte mal«, sagte Barbarotti. »War sie nicht sechsundfünfzig Jahre alt und alleinstehend? Warum sollte sie es nötig haben, heimlich …?«
    »Du hast Vorurteile«, unterbrach Backman ihn. »Außerdem ist die Heimlichtuerei natürlich das Salz in der Suppe, das sollte man

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