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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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geben.
    Fasse die Ereignisse einen guten Tag später zusammen. Was geschehen ist, ist geschehen, die Zeit kann nicht zurückgedreht werden.
    Ich habe geduscht, vier Stunden geschlafen, wieder geduscht. Erik hat das Haus früh am Morgen verlassen, ich nehme an, er berät sich drüben mit Gunnar und Anna. Oder mit den Malmgrens. Der Regen hat aufgehört, und es ist Montag, halb zwölf.
    Aber jetzt zum Sonntagmorgen. Zu gestern – es ist erst sechsundzwanzig Stunden her, seit die Dinge ins Rollen geraten sind; es ist schwer zu begreifen, dass nicht mehr Zeit vergangen ist seitdem, aber ich spule diesen Tag zurück und fange vom Anfang her an, mein Kopf surrt, und die Chronologie an sich gewährt eine neutrale Haltung und hilft dabei, sich zu erinnern. Ich bin überzeugt davon, dass niemand außer mir aufzeichnen wird, was an diesem schrecklichsten aller Tage tatsächlich der Reihe nach passiert ist.
    Der Morgen war schön und der Plan einfach: der Engländer mit dem Boot – ich habe seinen Namen nie richtig mitbekommen – hat sein Haus irgendwo in Beg-Meil, und das Boot liegt in einem kleinen Hafen an der Ostseite. Gunnar und Henrik holten es gegen neun Uhr ab, wir anderen trafen uns ein Stück die Mousterlinhalbinsel hoch am Strand, direkt unterhalb vom Haus der Malmgrens. Picknickkörbe und Kühltaschen, Badekleidung, Weinflaschen; die Frauen waren am Samstag in Quimper gewesen und hatten für Proviant gesorgt. Baguettes ragen zwischen rotweißkarierten Handtüchern hervor, ein gestreifter Sonnenschirm, Strohhüte, als sollten wir ein Gemälde darstellen. Sie sind aufgekratzt, reden von Sonnenöl und unberührten Sandstränden; das Wetter ist hervorragend, ein wolkenfreier Himmel, die Temperatur bereits sicher über fünfundzwanzig Grad. Ja, das ist ein Gemälde, ein Skagengemälde in einem anderen Land und in einer anderen Zeit, aber mit dem gleichen Temperament. Und ich spüre außerdem – ebenso deutlich, als wenn ich vor genau so einem erstarrten idyllischen Ölbild stünde – dass das hier nur die Frage eines einzigen illusorischen Augenschlages ist, bevor die Szene verschwindet. Woher ich das weiß? Das Meer ist ruhig, einige der Glénan-Inseln sind fern am Horizont zu erahnen, auf jeden Fall nehme ich an, dass sie es sind, aber genau weiß ich es nicht. Noch ist der Strand fast menschenleer – nur vereinzelt ein paar Jogger und einige Fischer. Niedrigwasser, aber die Flut ist auf dem Weg. Erik und ich, zwei Frauen. Sie gehören zu anderen Männern, aber ein unbeteiligter Beobachter, der uns so sähe, würde uns zweifellos als zwei Paare auffassen. Ich erinnere mich, dass ich diesen Gedanken wirklich hatte, während wir dort standen und auf das Boot mit Henrik und Gunnar warteten. Erinnere mich auch, dass Erik Anna mit dem Träger ihres Bikinis hilft, der sich auf dem Rücken verdreht hat.
    Doch bevor das Boot kommt, taucht Troaë auf.
    Ich wünschte, es wäre nicht so gewesen.
    Sie trug den gleichen roten Badeanzug wie beim letzten Mal, an diesem Morgen in ein paar abgeschnittene Jeans gestopft. Den gleichen blauen Sommerhut, den gleichen Rucksack. Aber keine Staffelei. Als sie uns entdeckte, strahlte sie und begann zu rennen, dass der Sand nur so spritzte.
    »Mes amis!«, rief sie. »Mes amis, les Suédois!«
    »Bonjour, petite!«, rief Katarina Malmgren ihr zu. »Comment vastu ce matin?«
    Das Mädchen kam direkt vor uns zum Stehen und wurde sofort ernst. »Nicht so gut. Ich habe mich mit Oma gestritten.«
    »Et pourquoi?«, konnte Erik einwerfen. »Warum?«
    Troaë ließ sich in lebhaften Schilderungen über den Morgen mit der Großmutter aus, sie verzog das Gesicht und imitierte sie; Katarina Malmgren verstand vermutlich das Meiste, denn sie lachte das Mädchen immer wieder an und kommentierte das eine oder andere. Wir anderen drei versuchten so gut es ging mitzuhalten. Offensichtlich hatte die Großmutter das Mädchen mit in die Stadt nehmen wollen – ich nehme an, dass es sich dabei um Quimper handelte –, um einkaufen zu gehen, aber Troaë hasste es, einzukaufen. Und das besonders, weil ihre Großmutter acht Stunden brauchte, um einen Käse und ein Paar Schuhe zu erstehen.
    »Sie hat gesagt, ich sei ein macaque und dass ich nach meiner Mutter komme.«
    »Macaque?«, fragte Erik.
    »Eine Meerkatze, glaube ich«, sagte Katarina Malmgren.
    Genau, dachte ich. Eine Meerkatze, das ist genau das, was sie ist.
    Das Mädchen hatte erklärt, ihre Oma sei une guenon, nach allem zu urteilen wohl auch

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