Eine ganz andere Geschichte
nur die Ruine eines alten Gefängnisses.
»Ideal«, sagte Anna. »Nur weißer Strand und türkisfarbenes Meer.«
»Essen, Wein und warme Haut«, fügte Gunnar hinzu.
Was sich als ganz richtig herausstellte. Wir fuhren schräg durch die Lagune, umrundeten Ile de St. Nicolas und ankerten an der Westseite von Brunec in einer kleinen Bucht zwischen einer gezackten, aus dem Meer ragenden Klippe und einem blütenweißen Strand. Wateten in wohltemperiertem, einen halben Meter tiefem Wasser mit Körben und Taschen auf dem Kopf an Land. Nicht ein Mensch war zu sehen. Während der Überfahrt war einiger Verkehr auf dem Meer gewesen, und in der Lagune hatten ein Dutzend Boote gelegen und sich wiegen lassen, aber auf Brunec war es leer. Wie es aussah, hatten wir eine eigene Insel mit mindestens dreihundert Metern Sandstrand gefunden, sie hatte keinen großen Umfang, vielleicht zwei Kilometer, mit einem kleinen Baumhain und der Gefängnisruine unübersehbar in der Mitte. Der höchste Punkt lag sicher nicht mehr als fünf Meter über dem Meeresspiegel.
Ich schaute auf die Uhr. Es war halb zwölf. Ich schaute hinauf zum Himmel. Er war azurblau. Das Meer lag immer noch fast spiegelglatt da, die Möwen ließen sich in trägen Ellipsen tragen, und ich musste einsehen, dass ich diesen Menschen ausgeliefert war. Einen ganzen Tag lang.
Warum ließ ich mich darauf ein?
Ich dachte wirklich diese Gedanken, und der Herr der Fliegen flimmerte in meinem Kopf vorbei, das ist keine nachträgliche Konstruktion.
Es war Troaës zweite Reise nach Les Glénan, wie sich herausstellte. Das erste Mal war sie hier mit Mama und Papa gewesen; wenn sie sich recht erinnerte, war sie vier Jahre alt gewesen.
»Aber wenn deine Oma um fünf Uhr nach Hause kommt und du bist nicht da, wird sie dann nicht unruhig?«, wollte Katarina wissen.
Es war natürlich viel zu spät, um so eine Frage zu stellen, aber das Mädchen lachte nur und schüttelte den Kopf.
»Sie empfindet mich nur als Last«, sagte sie. »Das habe ich doch schon gesagt. Was sie betrifft, ist es die Hauptsache, dass ich noch am Leben bin, wenn Papa kommt und mich abholt. Aber das macht nichts, dass sie so ist, ich komme ganz gut ohne sie zurecht.«
»Und wann kommt dein Papa?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ein paar Tage, bevor die Schule wieder anfängt wahrscheinlich. In sechs Wochen oder so.«
Mir kam der Gedanke, dass Troaë eine Mythomanin sein könnte. Dass sie tatsächlich das ganze Jahr hindurch bei ihren Eltern in Fouesnant lebte. Oder auf irgendeinem der Campingplätze, die ich in der Nähe von Beg-Meil gesehen hatte. Dass gar keine Großmutter existierte und dass der Teufel los sein würde, weil wir das Mädchen entführt hatten. Aber ich sagte nichts. Stand auf und ging stattdessen ins Wasser. Schwamm eine Weile, es war wirklich kristallklar, der Sand hörte schon nach zwanzig Metern auf, ich bereute es, keine Schwimmflossen und Schnorchel mitgenommen zu haben, es wäre eine ausgezeichnete Möglichkeit gewesen, sich die Zeit zu vertreiben. Sich im Wasser zu wiegen und die taubstumme Welt zu betrachten, die sich unter der Oberfläche ausbreitete. Ich stellte außerdem fest, dass mehr als fünf Jahre vergangen waren, seit ich mein Tauchabzeichen gemacht hatte, und fast genauso viel Zeit seit dem Unfall meiner Frau.
Als ich nach einer halben Stunde zurückkam, hatten sie bereits angefangen, das Essen vorzubereiten. »Wir können ebenso gut jetzt ein paar Weinflaschen köpfen, solange sie noch einigermaßen kalt sind«, stellte Gunnar fest. »Ich nehme an, dass das Wasser zu warm ist, um sie zu kühlen?«
Diese Frage war an mich gerichtet. Keiner der anderen war bisher schwimmen gegangen. Ich zuckte mit den Schultern. »Gute zwanzig Grad nehme ich mal an.«
»Ich habe Durst«, sagte Anna. »Und ich will nachher nackt baden, aber um mich zu trauen, brauche ich vorher ein paar Gläser.«
Ich hatte das Gefühl, dass sie mir einen Blick zuwarf, als sie das sagte, aber vielleicht war es nur Einbildung.
»Anna hat die Gewohnheit, nur in Gesellschaft nackt zu baden«, sagte Gunnar. »Nie allein. Man kann sich natürlich fragen, warum.«
»Halt die Klappe, du Ferkel«, sagte Anna. Lachte und schlug ihm mit der Handfläche auf den Po. Troaë fragte, worüber wir denn redeten, und Katarina erklärte ihr, dass wir die Schönheit der Insel bewunderten. Anschließend aßen wir. Baguette und Käse, klebrigen Salat, Bayonneschinken, Crêpes und Avocados. Erdbeeren, Himbeeren und
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