Eine ganz andere Geschichte
Recht, es in ein paar Punkten zu verbessern, man darf ja wohl einige Ungereimtheiten zurechtrücken als Übersetzer, nicht alle befolgen diese Regel, aber ich tue es … ja, das ist keins, für das du besonders große Voraussetzungen brauchst, um es zu begreifen, aber ich will trotzdem …«
»Lies vor, Axel«, sagte Barbarotti. »Spar dir die Einleitung und Analyse, ich bin ganz Ohr.«
»Na gut, du verdammter Kretin«, sagte Axel Wallman. »Dann hör zu, denn das hier ist große Poesie.«
Er trank noch einen Schluck Bier, kraulte Saarikoski unterm Kinn und begann.
»Meine Geliebte, du bist das dicke Kind, das im Lehm ausrutschte, als der Krieg kam,
du bist der Abdruck, den der Fuß des Kriegers auf dem Boden neben den weizenblonden Zöpfen des dreizehnjährigen Mädchens hinterließ,
du bist das Salz im Bottich, den die Mutter des Mädchens in der Ta sche ihrer Strickjacke trug an dem Tag, als sie ins Massengrab auf der anderen Seite des Hügels geworfen wurde,
an dem Ort, zu dem niemand mehr geht – aber du bist nicht das Wasser, das dort in der Nähe im Bach plätschert,
und nicht der Vogel, der in der Dämmerung singt,
auch nicht der lebendige Schatten im Hain so grün.
So ist es, meine Geliebte, und es könnte nicht auf andere Art eingerichtet sein.«
Er nickte einige Male nachdenklich und klappte den Block zu. Gunnar Barbarotti leerte sein Bier und schloss die Augen. Eine Fliege kam herangesurrt und ließ sich auf seinem Handrücken nieder. Warum sitze ich hier?, dachte er erneut. Wie ist es dazu gekommen, dass ich ausgerechnet an diesem Sonntag in meinem achtundvierzigsten Lebensjahr in dieser Gesellschaft gelandet bin?
Er fand die Frage gleichzeitig ein wenig erschreckend und höchst relevant und saß eine Weile da, ohne eine treffende Antwort zu finden. Dann erklärte Axel Wallman, dass er sich richtig stimuliert fühle, dass er ein so verdammt gutes Gedicht seinem guten alten Freund habe vorlesen dürfen, und bat darum, noch ein Dutzend nachschieben zu dürfen.
Das durfte er, und so verging der Nachmittag. Axel Wallman las seine Interpretationen von Mihail Barins späten Gedichten vor, mal klar und einfach, mal dunkel und verworren, sie tranken mehr Bier, kochten Pasta und Hackfleischsoße, schwammen eine Runde im See, und als es Abend wurde, musste Gunnar Barbarotti zugeben, dass er eine viel zu hohe Alkoholkonzentration im Blut hatte, um in der Lage zu sein, in seinem Auto nach Hause zu fahren, und er folglich gezwungen sein würde, hier zu übernachten.
Wogegen nichts sprach. Um elf Uhr erklärte Axel Wallman, dass er seinen bescheidenen Anteil an diesem gottverlassenen Sonntag be kommen habe, las einen kurzen, flammenden, aber leider unbegreiflichen Appell auf Ungarisch für die poetische Freiheit, nahm Saarikoski mit sich und ging ins Haus, um ins Bett zu gehen. Barbarotti richtete sich sein einsames Lager auf dem Ledersofa mit Hilfe einer Decke und eines Kissens, das streng nach Schimmel und altem Tabaksrauch roch. Diese Frage aus dem Prediger Salomon tauchte wieder in seinem Kopf auf – doch wie kann ein Einzelner warm werden? –, und er blieb ein paar Minuten lang einfach nur liegen und versuchte ein adäquates Gebet zu formulieren für den Fall eines existierenden Gottes.
Aber es wollten sich die rechten Worte nicht einstellen, und so schlief er schließlich mit dem Gefühl ein, sich weit weg zu befinden.
Von Marianne, von seinen Kindern, von einem Mörder, der versuchte, mit ihm zu sprechen aus Gründen, von denen er sich keinen Begriff machen konnte – und meilenweit weg von sich selbst.
17
D er schwarze Montag begann mit ein paar kräftigen Regenschauern und starkem Wind von Südwest. Gunnar Barbarotti verließ Axel Wallmans Hütte kurz nach acht Uhr mit einem Gefühl von Herbst in der Brust, und er war erst wenige Kilometer gefahren, als sich der Scheibenwischer auf der Fahrerseite löste. Er wirbelte wie eine missglückte Überlegung davon und verschwand innerhalb von Sekunden im hohen Gras im Straßengraben. Barbarotti hielt an der Statoil-Tankstelle in Kerranshede an und verschaffte sich einen neuen, den zu montieren ihm auch mit gewisser Mühe gelang. Er nutzte die Gelegenheit, sich eine Tasse Kaffee und den Expressen zu kaufen, trotz allem, was er Göran Persson versprochen hatte, saß dann erneut im Auto, umgeben von dem herunterströmenden Regen, und las alles, was der Starreporter in Bezug auf die Morde an Erik Bergman und Anna Eriksson zu sagen hatte.
Und über
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