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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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ungefähr genauso aus wie Wallman selbst im Gesicht. Wild gewachsen und ohne
    Plan, Bartstoppeln und Brennnesseln, Haufen alten Gerümpels und misshandelte Mitesser, ein blutiges Pflaster, das möglicherweise auf einen Versuch, sich irgendwann im Laufe des letzten Monats zu rasieren, hindeutete, und Bretterstapel unter Planen, die möglicherweise darauf hindeuteten, dass jemand die Absicht gehabt hatte, irgendwann im Laufe des letzten Jahrzehnts Reparaturarbeiten auszuführen.
    Wahrscheinlich nicht Wallman selbst. Sein Haar war grau, ausgedünnt und schulterlang, die Kleidung bestand aus einem schmutzigen, limonengrünen T-Shirt, einer abgewetzten Latzhose und schwarzen Slippers ohne Strümpfen. Barbarotti wurde plötzlich klar, dass ein unbeteiligter Dritter sein Alter wohl eher auf gut sechzig als auf die knapp fünfzig schätzen würde, die tatsächlich zutrafen.
    Wenn es wirklich eine akademische Müllhalde gab, wie Wallman behauptete, dann sah er zweifellos so aus, als ob er genau auf so einen Platz gehörte.
    Wie zum Beispiel diesen hier. Aber einen gewissen Blick aufs Wasser gab es immer noch, wie Gunnar Barbarotti feststellte, auch wenn das Dickicht aus Brennnesseln, Erlen, Ulmen und Birken seit letztem Jahr um einen halben Meter gewachsen war.
    Axel Wallman saß – genau wie letztes Jahr – auf einem Plastikstuhl draußen auf der Veranda. Der Tisch neben ihm war vollgepackt mit diversen Büchern, alten Zeitungen, Stiften, Collegeblocks, Tabak, Streichhölzern, einer Petroleumlampe und leeren Bierdosen. Er stand nicht auf, als Barbarotti in sein Blickfeld kam, hob aber zumindest den Blick, und Saarikoski, der im Schatten zu seinen Füßen lag, machte sich die Mühe, zweimal mit dem Schwanz zu wedeln.
    »Hallo, Axel«, sagte Barbarotti. »Danke, dass ich kommen und dich besuchen durfte.«
    »Es geht ein Schatten durch die Geschichte«, erwiderte Axel Wall-man. »Er heißt Femina.«
    »Wie wahr«, sagte Barbarotti und stellte die Plastiktüten auf den Boden. Die eine enthielt Bier, die andere Pasta samt Zutaten für eine Hackfleischsoße.
    »Ich bin achtundvierzig Jahre alt und unschuldig«, sagte Axel Wall-man. »Interessiert dich das?«
    »Nein«, antwortete Barbarotti. »Ehrlich gesagt nicht.«
    »Saarikoski ist das Thema auch gleichgültig«, stellte Axel Wallman mit finsterer Miene fest und drehte sich mit nikotingelben Fingern eine Zigarette. »Aber er war auch schon kastriert, als ich ihn bekommen habe. Was hast du von der Gegenwart zu berichten, ist das Bier in der Tüte?«
    Gunnar Barbarotti räumte ein paar Kleidungsstücke von einem anderen Plastikstuhl und ließ sich nieder. Reichte seinem Gastgeber eine Bierdose und öffnete selbst eine. Er schaute über den See und dachte, wenn Axel Wallman eines Tages sterben sollte, würde das niemand bemerken, die Natur würde weiterhin ihn und das Haus auffressen, Saarikoski würde wahrscheinlich bis zum letzten Atemzug zu Füßen seines Herrchens liegen bleiben und auf die gleiche Art und Weise begraben werden.
    Grün und vergessen. Vielleicht kein dummes Ende, wenn man es genau besah.
    Aber er war nicht hergekommen, um die Kürze und Eitelkeit des Lebens zu diskutieren. Davon ging er jedenfalls aus, der genaue Grund war ihm selbst immer noch rätselhaft, ihm war sein alter Bruder im Unglück eingefallen, und er hatte Lust gehabt, ihn einfach wiederzusehen, gewichtigere Beweggründe waren nicht nötig. Nicht an einem schönen Augustsonntag wie diesem.
    Sie tranken von ihrem Bier und saßen wohl eine halbe Minute schweigend da.
    »Was hältst du von einem Mörder, der der Polizei Briefe schickt und mitteilt, wen er zu töten gedenkt?«, fragte Gunnar Barbarotti dann.
    Es gab keinen Grund, Axel Wallman das Gesprächsthema wählen zu lassen. Dann konnte man schnell in irgendwelchen unbegreiflichen Dickichten landen. Strindbergs französische Verbformen oder die Chiffriercodes während des Zweiten Weltkriegs.
    »Sieht die Gegenwart so aus?«, wollte Axel Wallman wissen, »Mörder, die Briefe schicken?«
    »Im Augenblick ja«, bestätigte Gunnar Barbarotti.
    »Und dann ermordet er sie auch noch? Schreibt nicht nur Briefe?«
    »Er ermordet sie auch noch.«
    »Ich habe noch nie viel für die Gegenwart übrig gehabt«, erklärte Axel Wallman und zündete sich seine zerknitterte Zigarette an. »Ist es ein Männchen oder ein Weibchen?«
    »Ich denke, es ist ein Männchen«, sagte Barbarotti.
    »Gut«, sagte Axel Wallman. »Ich bin nämlich schlecht in Weibchen, wie

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