Eine ganz andere Geschichte
aufgenommen hat«, erklärte Gunnar Barbarotti langsam, mit dieser eigenartigen inneren Befriedigung, die ein blindes Huhn spürt, wenn es endlich ein Korn gefunden hat.
Zehn Sekunden lang wurde nichts gesagt. Kommissar Tallin hob die rechte Hand und ließ sie wieder fallen. Jonnerblad klickte mit seinem Stift und Asunander mit seinem Gebiss.
»Das ist nicht möglich«, protestierte der rotwangige Polizeianwärter Olsen vorsichtig.
»Das ist es doch«, widersprach Astor Nilsson. »Barbarotti hat recht, es ist logisch, dass er es ist! Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, kapiert ihr das nicht?«
Nach ungefähr einer Viertelstunde mehr oder weniger hitziger Debatte schien es so, als ob zumindest eine knappe Mehrheit der Versammlung es doch tat.
Es kapierte.
Einsah, dass es sich sehr wohl so abgespielt haben konnte, wie Inspektor Barbarotti es vorgeschlagen hatte.
Dass der Mörder selbst Kontakt zum Expressen aufgenommen hatte.
Mit dem Ziel, die Geheimhaltung zu durchbrechen, was die Briefe betraf mit den Informationen, wer als Nächster an der Reihe war, sein Leben zu verlieren. Dass es ihm – aus welchem Grund auch immer – nicht genügte, dass die Polizei über den Angaben brütete. Er wollte die volle Medienaufmerksamkeit, nicht nur die im Polizeigebäude von Kymlinge.
»Verdammte Scheiße, du hast Recht«, sagte Inspektorin Backman. »Gratuliere, Gunnar.«
»Ja, ja, also, er will die maximale Aufmerksamkeit für das hier haben«, fasste Astor Nilsson zusammen. »Von der Polizei, der Presse und dem ganzen Tralala.«
Eva Backman nickte. Barbarotti nickte. Kommissar Tallin nickte vorsichtig, nachdem er zuvor kurz Jonnerblad einen Blick zugeworfen hatte. Das war eine in vielerlei Hinsicht überraschende Schlussfolgerung – aber deshalb nicht weniger logisch.
Wenn man der knappen Mehrheit glauben wollte, wie gesagt.
Und das Gefühl, dass es auch dieser eigensinnige, kaltblütige Verbrecher war, der die ganzen Ermittlungsarbeiten steuerte, folgte auf dem Fuße wie – wie ein Brief mit der Post.
Den restlichen Vormittag saß Inspektor Barbarotti in seinem Büro und telefonierte. Er verabredete Termine mit Leuten, die in irgendeiner Weise etwas mit Erik Bergman und Anna Eriksson zu tun hatten, die man bisher aber noch nicht eingehend hatte befragen können, und als es Viertel nach zwölf war, begab er sich – laut Anweisung – nach Hause, um die tägliche postale Ernte einzuholen.
Mehr als die Hälfte des Flurteppichs war mit Werbesendungen bedeckt, dennoch entdeckte er ihn sofort.
Hellblauer, länglicher Umschlag, genau wie beim letzten Mal. Sein Name und seine Adresse waren in der gleichen Art geschrieben wie bei den drei vorherigen Briefen – etwas unbeholfene, steile Versalien. Der Ort des Adressaten, Kymlinge, einmal unterstrichen.
Die Briefmarke mit dem Bootmotiv aus der gleichen Serie.
Gunnar Barbarotti zögerte eine Sekunde lang, dann zog er sich ein Paar dünne Handschuhe über, schlitzte den Umschlag mit einem Küchenmesser auf, entfaltete den Briefbogen und las die Mitteilung.
DU KANNST DIE ÜBERWACHUNG VON
HANS ANDERSSON EINSTELLEN. ER DARF LEBEN.
ICH WERDE STATTDESSEN HENRIK UND KATARINA
MALMGREN TÖTEN. DU WIRST MICH DOCH NICHT
DARAN HINDERN WOLLEN?
Er las den Text zweimal, wobei er versuchte, dieses Gefühl der Unwirklichkeit abzuschütteln. Das Empfinden, dass das alles hier gar nicht richtig stattfand, dass es sich nur um eine Art absurdes, kriminelles Theater handelte, das mit traumhafter Intensität in seinen Schläfen pochte.
Henrik und Katarina Malmgren?
Gleich zwei? Wollte er dieses Mal zwei Personen umbringen? Barbarotti schob den Brief zurück in den Umschlag. Fragte sich, warum er ihn eigentlich geöffnet hatte – er hatte Jonnerblad versprochen, ihm alle zukünftigen Mitteilungen des Mörders in unversehrtem Zustand unmittelbar zu überbringen.
Er hatte dieses Versprechen ohne groß zu zögern gebrochen. Das war … es musste etwas mit dieser Jungsfußballmannschaft zu tun haben. Dem Gefühl, einem großen und nur mäßig begabten Mannschaftsführer ausgeliefert zu sein. Gunnar Barbarotti mochte es nicht, wenn ihm Leute sagten, was er zu tun hatte, so war es schon immer gewesen. Das war vermutlich auch der simple Grund dafür, dass er immer noch Kriminalinspektor und kein Kommissar war … wenn man der Wahrheit ins Auge schauen wollte. Das plus der Mangel an richtiger Ambition natürlich – auf jeden Fall würde es wahrscheinlich einen ziemlichen Krach
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