Eine geheime Liebe - Roman
Musik fernhalten. Ich musste mich von dieser dummen Schwärmerei befreien, verstehen Sie?
»Ich habe nichts getan, damit er von meiner Abreise erfährt. Ein Jahr nach meiner Flucht schrieb ich ihm einen Brief, aber den werden Sie nicht in der Schachtel finden. Es ist der einzige, den ich nie abgeschickt habe. Ein endgültiges Schweigen hätte ich nicht ertragen. Heute Nacht habe ich ihn gesucht. Er war noch dort, wo ich ihn einst versteckt hatte, zusammengefaltet zwischen den Seiten eines Buchs - der tragischen Geschichte einer unmöglichen Liebe, die den unschuldigen Elias Alder in den Tod treibt. Ich hatte es vorgezogen, mich durch Flucht zu retten. Schauen Sie, hier.«
Während ich ihr das letzte, entscheidende Bruchstück reichte, wurde mir bewusst, dass wir in diesen wenigen Stunden einen ganzen Dialog skizziert hatten und diese Briefe die Züge eines noch unfertigen Drehbuchs trugen. Ist es nicht klüger, die Vergangenheit auszureißen? Alles aufzubewahren, führt zu nichts. Über dreißig Jahre lang blieb ich mit diesem Mann verbunden, ohne mich dagegen wehren zu
können, und jetzt spürte ich auch in der Anwesenheit dieser jungen Frau etwas Schicksalhaftes. Schon als kleines Mädchen habe ich abwegige mentale Landkarten über unsichtbaren Symbolen angelegt. Ich habe nach Zusammenhängen gesucht, Geheimsprachen entdeckt und überall Zeichen gesehen, vor allem in der Musik. In diesen Tagen habe ich das wieder getan. An dem Tag, als ich ihren Brief bekommen hatte, war ich in dem Plattenladen, in dem ich oft kaufe, und hörte, wie ein junger Mann zerstreut nach der Vierten von Brahms fragte. Ausgerechnet! Willst Du noch mehr hören? Letzten Monat war ich mit Thierry bei seinem spanischen Verleger in Valencia. Wir sind durch einen Park gegangen, der in einem ausgetrockneten Flussbett angelegt ist, vor einem großen Veranstaltungssaal, und plötzlich sah ich das Leuchtschild eines Hotels, das jemand Hotel Brahms nennen zu müssen geglaubt hatte. De Falla oder Albéniz wäre viel passender gewesen, und so schienen mir die verzweifelten und triumphalen Klänge meines geliebten Johannes beschlossen zu haben, meine umherirrende Seele hierher zu locken. Eine Geste des Trostes. Meine dunkle Seite, die Dir immer verdächtig war, hat Hoffnungen genährt und unauflösliche Bindungen geschaffen. Auch von den Ereignissen dieser Tage, die ihren provisorischen Gang genommen haben, sollte ich überall Zeichen erkennen und sie wie Spuren der Freude bewahren. Diese Frau, Gabriella, war nun Teil von mir. Er hat sie mir geschickt. Das so zu sehen, gefiel mir. Am liebsten hätte ich sie umarmt, aber ich riss mich los von ihr, deren Gesicht dank eines unsichtbaren Puders etwas
Vollkommenes hatte. Sie hielt den letzten Brief an ihren Vater in der Hand. Langsam und gleichmütig steckte ich die Gabel in das köstliche Frühgemüse, das der Kellner mir hingestellt hatte, und probierte. Meine Lippen zitterten.
Paris, ein Jahr später
Mein Geliebter,
hätte ich überflüssige Erklärungen in ein kärgliches Lebewohl verpacken sollen? Die Koffer standen fertig gepackt im Hof. Die Kisten waren endgültig versiegelt, mit einem saitenfarbenen Klebeband. Meine Bücher - es waren hunderte, die ich Stück für Stück abgestaubt und nach Themengebieten sortiert hatte -, und die Fotoalben mit den Kinderfotos waren schon am Ziel. Zwei Scheidungen in fünfzehn Jahren, die Kinder als handfeste Erinnerung. Die Liebe hinterlässt keine sichtbaren Spuren, höchstens im Spinnennetz, das sich auf unserem Gesicht bildet, besonders um Augen und Mund herum. Die Körper der Kinder kann man als lärmende, anschmiegsame Gegenwart festhalten. Sie haben die Gesichter meiner Ehemänner, als hätte ich für die Zeit der Trennung vorgesorgt. Jetzt müssen sie mit mir vorliebnehmen. Guido und ich haben alles geteilt und keine Tränen vergossen, fast wie bei einer einvernehmlichen Scheidung. Und wie in englischen Spielfilmen. Ich bin mir sicher, dass wir Freunde bleiben.
Seit einem Jahr lebe ich in Paris. Ich schreibe Dir aus dem Café de Flore, genau von dem Platz, wo Simone und Jean-Paul
gesessen haben, dieses Traumpaar meiner Jugend. Mit eigenen Augen diese Orte wiederzufinden, ist ein Weg, mich Simone noch einmal zu nähern, ohne sie länger als fremd zu empfinden. Für mich war es ein harter Schlag, als mir irgendwann klar wurde, dass die beiden sich ihr ganzes Leben lang betrogen haben. Simone hatte eine stürmische Affäre mit einem Amerikaner, der
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