Eine geheime Liebe - Roman
Supraspinatussehne‹, nach dem ersten Wissenschaftler, der die Versteifung der Schulter und andere damit verbundene Krankheitsbilder beschrieben hatte, auch Morbus Duplay genannt. Der Name klinge wie der eines Etüdenbuchs, nach dem er auf dem Konservatorium geübt habe, lautete sein Kommentar. Trotzdem war seine Stimmung auf dem Tiefpunkt. Und ich wusste, dass meine Liebe zu ihm wuchs.«
Doktor, ich darf das Konzert am Montag nicht verpassen. Tun Sie irgendetwas, egal was, aber machen Sie diese Schulter wieder einsatzfähig.
»Das sagte er mit Tränen in den Augen, während er meine Hand drückte wie ein Kind, das von einer wahnsinnigen Angst befallen ist. Nach der Infiltration von Kortison ließen die Schmerzen für ein paar Tage nach.
»Die Röntgenstation erinnerte an einen NASA-Pavillon, den wir mal in Cape Canaveral besucht hatten und von dem vor allem Mattia begeistert war. Wir haben uns hinter einer
Wand fotografieren lassen, auf der wir alle im Astronautenlook erschienen. Es war eine aseptische Umgebung, vollkommen mit Stahl ausgekleidet. Für Fantasien blieb da kein Platz. Der Radiologe führte uns in sein Büro. Da war sie, die Schulter, auf einer Leuchttafel. Riesig groß. Deutlich sichtbar lag ein beunruhigender weißer Fleck über dem gewundenen Bogen. Weiß auf schwarzem Grund. Ein Schatten des Bösen, der mir einen Augenblick lang wie ein großes, durchsichtiges Herz vorkam, in das eine schurkische Seele einen Holzpfeil geschossen hat. Er hielt mich an der Hand. Die Worte des Arztes hörte ich nicht. Erst gegen Ende verstand ich, dass dieser letzte Versuch - die Infiltrationen - kaum sichtbare Resultate gezeitigt hatte. Das Böse sah uns an. Überheblich. Unüberwindbar. Siegreich in letzter Instanz. Wie das, was ich in seinem Blick sah, als Buster zu uns ins Büro kam: Signore, für gewöhnlich bekommen wir diese Krankheit in den Griff, aber bei Ihnen können wir, fürchte ich, nicht mehr viel machen. Es tut mir wahnsinnig leid.
»Lucrezia, diese Auskunft war niederschmetternd. Er würde nicht mehr spielen können. Wider jede Statistik. Mit siebenunddreißig. Eine Operation wäre ein großes Risiko gewesen. In den innersten Schichten herumzuschaben, ihre Geheimnisse auszukundschaften, ohne jede Sicherheit, eine Lösung zu finden. Wir ließen uns Zeit mit der Entscheidung.«
Zum Essen habe ich sie ins Oustau de Baumanière eingeladen, ein zauberhaftes Lokal in Beaux-de-Provence, wo ich ein gern gesehener Gast bin, seit ich gelegentlich mit Thierry dort einkehre. Die Vorstellung, mit ihr auszugehen, hatte etwas Elektrisierendes. In wenigen Stunden würde sie wieder abreisen, und sie fehlte mir jetzt schon.
Als sie aus ihrem Zimmer herunterkam, war ihr die Überraschung anzumerken. Sie hatte nicht erwartet, mich in Hut und Mantel dort sitzen zu sehen.
»Heute Abend essen wir auswärts, Lucrezia. Ich würde Ihnen gerne das Restaurant zeigen, in dem Thierry mich gebeten hat, seine Frau zu werden.«
»Gerne, Signora. Ich hoffe, ich bin angemessen angezogen.«
Wie viel Schalk in ihrer Stimme lag! Sie war hochelegant, wie hätte es anders sein können, meine liebe Freundin. Und weil Du Details liebst: Sie trug ein schwarzes Wollkleid, das bis auf die Waden herabfiel und blickdichte Strümpfe sowie flache Schnürstiefel darunter hervorschauen ließ. Schmuck trug sie nicht, wenn man mal von einer sicherlich echten Perlenkette absieht.
Nach einer halbstündigen Autofahrt, bei der ich ihr die Dörfer zeigte, die an uns vorüberzogen, nahmen wir an einem Tisch Platz. Das diskrete provenzalische Restaurant war auf mittelalterlichen Ruinen erbaut worden. Niemand würde uns für eine Lehrerin mit ihrer Schülerin halten, eher würden wir für eine alte Mutter mit ihrer Lieblingstochter durchgehen. Das war die wiedergefundene Zeit, und er war
schuld daran. Ich nahm meinen Bericht wieder auf und aß ein Auberginengratin dazu.
»Wissen Sie, Lucrezia, ich habe immer an der Gewohnheit festgehalten, meine Weihnachtsgeschenke im November zu kaufen. Dann ist der Umgangston in den Geschäften noch freundlich, die Menschen haben es noch nicht so eilig, und die Kälte dringt noch nicht bis zu den Knochen vor, sondern bleibt schüchtern auf der Haut liegen. Dieses Jahr bin ich meinen Vorsätzen untreu geworden und habe erst vor ein paar Tagen Weihnachtsgeschenke gekauft. Die Wunschzettel von Mattias Kindern und Carolinas Zwillingen sehen aus wie die Inventarliste eines Spielzeugladens. Um sie zufrieden zu stellen,
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