Eine geheime Liebe - Roman

Verschwinden beunruhigte mich, weil ich Angst hatte, dass sie sich vielleicht nicht wohlfühlte. Es gefiel mir, dass sie mit dem Haus vertraut war. Dass sie sich als Teil der Familie fühlte, wäre aber vermutlich zu viel verlangt, auch wenn ich es im tiefsten Innern hoffte. Carolinas klare, feine Schönheit verblasste vor dieser faszinierenden, herrschaftlichen Nase. Nach der anfänglichen Verblüffung
hatten sich Kinder und Enkel daran gewöhnt, sie hier zu haben. Niemand war eifersüchtig. Aller Wahrscheinlichkeit nach hielten sie sie für meinen neuesten Spleen. Ich tat so, als würde ich sie gar nicht beachten, als sie nun in Richtung Flur ging. Der Wunsch nach einem Glas Wasser oder das plötzliche Bedürfnis, Luft zu schnappen und dieses von Verwandtschaft überfüllte Zimmer zu verlassen, würden mir die Gelegenheit geben, sie aus der Entfernung zu betrachten. Ich folgte ihr also und stand ihr plötzlich direkt gegenüber. Wir konnten unsere Verlegenheit kaum verbergen. Sie verstand, dass ich einen Moment mit ihr allein sein wollte.
    »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht, Costanza. Ich hoffe, es gefällt dir.«
    Ohne zu zittern, aber sichtlich aufgeregt hielt sie mir eine quadratische, in blaues Papier eingeschlagene Schachtel mit einer großen roten Atlasschleife hin.
    »Danke, Lucrezia«, sagte ich und wurde vor Verlegenheit rot, als ich das elegante Briefpapier mit dem kleinen roten Wappen darauf sah. Verschmitzt schlang sich der Buchstabe C um den Buchstaben A.
    Ich umarmte sie und war in Tränen aufgelöst, heiter, leicht, beschämt.
    In dem leisen, geschmeidigen Gang, den ich so geliebt hatte, ging sie in die Küche. Die Holztür machte kein Geräusch, als sie hindurchtrat. Ich beobachtete sie, als sie vor der Wand stand und die Augen über die gerahmten Fotografien gleiten ließ. Alte, Großeltern, Urgroßeltern, die niemand
je gesehen oder kennen gelernt hatte. Eine Vergangenheit, die zu nichts verpflichtete.
    Ihr Foto hing gut dort bei den Kindern. Sie war die einzige Erwachsene, der ich Farbe zugestanden hatte. In einem schwarzen Kleid, das sie verführerisch umhüllte wie eine Schutzhaut, spielte sie das Guadagnini ihres Vaters.
    Keinerlei Schmerz lag mehr in ihrem Gesicht.

Dank
    Ich danke Fabrizio Ferri für sein außergewöhnliches Talent und unsere unverbrüchliche Freundschaft. Außerdem danke ich Marcello Sirotti, dem unersetzlichen Cellisten. Francesco Rossetti danke ich für seine wertvollen Belehrungen in Sachen Orthopädie.

Die Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel
»L’amore segreto«
bei Baldini Castoldi Dalai, Milano
     
     
    1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung Juni 2010
    Copyright © der Originalausgabe 2009 by Paola Calvetti
    Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagmotiv: Trevillion Images / Susan Fox
Redaktion: Martina Kayser
IK. Herstellung: Str.
    eISBN : 978-3-641-04490-9
     
    www.goldmann-verlag.de
    www.randomhouse.de